Wie die Abwertung von Menschen unsere Demokratie gefährdet
Was hat Erwerbsarbeit mit Demokratie zu tun? Mehr als man auf den ersten Blick denken würde! Kurz zusammengefasst: Wenn Menschen in ihrem Arbeitsleben keine Anerkennung und keinen Respekt erfahren, zersetzt das auch unsere Demokratie. So lautet die Essenz der Forschungen und Analysen, die die beiden Wissenschafterinnen Jana Costas (Viadrina Universität Frankfurt/Oder) und Martina Zandonella (Foresight) Anfang März bei uns im Renner Institut, im Rahmen des Zweiten Forum Wissenschaft & Politik, präsentiert haben.
Im Minusbereich: Reinigungskräfte und ihr Kampf um Würde
Zwar systemrelevant, aber unterbezahlt und abgewertet: So können wir viele Berufsfelder beschreiben. Es geht um Tätigkeiten, ohne die der private und berufliche Alltag der meisten Menschen nicht funktionieren würde, die aber oft prekär beschäftigt sind, stigmatisiert und unsichtbar gemacht werden. Ein Paradebeispiel dafür ist Reinigung – und genau diesen Beruf hat Jana Costas in ihrer Studie ethnographisch erforscht. Sie hat dafür mehrere Monate lang bei einer Reinigungsfirma am Potsdamer Platz in Berlin mitgearbeitet und dadurch Einblick in den Alltag und das Selbstverständnis von Reinigungskräften bekommen, in ihre Arbeitsbedingungen und in ihre Strategien, mit denen sie sich jeden Tag aufs Neue ihre Würde erarbeiten.
Wie die Untersuchung von Jana Costas zeigt, ist soziale Ungleichheit nicht nur eine Frage des Geldes. Einkommensstatistiken sind aussagekräftig, aber sie zeichnen kein vollständiges Bild; höhere Löhne und sichere Anstellungsverhältnisse sind unverzichtbare Schritte zu einer gerechteren Gesellschaft, aber es braucht noch mehr: Nämlich einen Blick auf Anerkennung und Status, also darauf, wie Ungleichheit in alltäglichen Begegnungen, im Arbeitsalltag, hergestellt und erlebt wird.
Natürlich kann sich eine Reinigungskraft nichts davon kaufen, wenn ich sie begrüße, aber ich habe es wirklich erlebt: Das macht etwas mit diesen Menschen. Es gibt der Person das Gefühl, ich nehme dich wahr – und alleine diese Wahrnehmung kann dazu führen, dass sie ein besseres Selbstwertgefühl entwickelt und damit anfängt, ihre Stimme zu erheben und sich für ihre Interessen einzusetzen.
Abschließend wirft Jana Costas noch weitere Fragen auf:
Die eine Frage ist: Geht dieses Versprechen in unserer Gesellschaft noch auf – du gehst arbeiten und du bist wer, hast einen Status? Bei diesen Personen im Minusbereich würde ich sagen: Nicht wirklich. Und eine weitere Frage: Was macht es mit einer Demokratie, wenn in diesen Minusbereichen die Personen sich nicht wie mündige Bürger:innen wahrnehmen, sondern wie Unpersonen?
Demokratiemonitor: Schieflagen untergraben Vertrauen
Diese Fragen beantwortet Martina Zandonella in ihrem Vortrag. Sie gibt Einblick in die aktuellen Daten des Österreichischen Demokratiemonitors, eine große jährliche Befragung der österreichischen Bevölkerung. Dabei wird unter anderem erhoben, was Demokratie für die Menschen bedeutet: Erstens, dass wir alle gleichwertig sind, und zweitens, dass wir unsere Lebensumstände gemeinsam bestimmen können. Genau diese beiden Grundsätze werden aber in unserer Gesellschaft mittlerweile so stark untergraben, dass das Vertrauen in die Demokratie vor allem beim unteren Einkommensdrittel immer stärker erschüttert wird.
Ein großes Manko der österreichischen Demokratie ist die große Anzahl jener – etwa ein Drittel der Wohnbevölkerung –, die gar nicht wahlberechtigt sind. Gerade in unterbezahlten und abgewerteten Dienstleistungsberufen (u.a. Reinigung) gibt es besonders viele Menschen, die nicht wählen dürfen. Aber auch unter den Wahlberechtigten ist es sehr stark von der sozialen Klasse abhängig, wer sich an demokratischen Prozessen beteiligt: Während im oberen Einkommensdrittel nur 17% nicht wählen gehen, sind es im unteren Einkommensdrittel 41%. Und das hat sehr viel mit dem Vertrauen in die Demokratie zu tun:
Das untere Einkommensdrittel ist konstant weniger zufrieden mit dem politischen System als das mittlere und obere Einkommensdrittel. Was hier auch ganz relevant ist: Das Vertrauen in die Demokratie ist – nach dem starken Absinken über alle Klassen hinweg während der Coronapandemie – dann seit 2022 wieder angestiegen, aber nur in der mittleren und oberen Klasse. Im unteren Einkommensdrittel ist es noch weiter gesunken.
Was steckt dahinter, warum ist die Unzufriedenheit mit dem politischen System im unteren Einkommensdrittel so groß und das Vertrauen so niedrig? Die Daten des Demokratiemonitors führen zu einer klaren Einordnung:
Für das untere Einkommensdrittel hält die Demokratie ihre zwei zentralen Versprechen nicht, nämlich Gleichwertigkeit und wirksame Mitbestimmung. 70% der Menschen im unteren Einkommensdrittel haben das Gefühl, die Politik behandelt sie als Menschen zweiter Klasse, und das ist etwas sehr tiefgehendes, was mit sehr viel Emotion verbunden ist. Nicht einmal jeder und jede Vierte ist der Meinung, dass ihre Arbeit von der Gesellschaft wertgeschätzt wird. Und nur noch 16% haben das Gefühl, dass Menschen wie sie im Parlament gut vertreten sind.
Zu den Vortragenden
Jana Costas ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Im vergangenen Jahr hat sie die eindrucksvollen Ergebnisse einer ethnographischen Studie über Reinigungsarbeit in Buchform veröffentlicht: „Im Minus-Bereich. Reinigungskräfte und ihr Kampf um Würde“ (2023, Suhrkamp Verlag)
Martina Zandonella ist Senior Researcher bei Foresight. Sie ist dort unter anderem für den Österreichischen Demokratiemonitor verantwortlich, der seit 2018 jedes Jahr wertvolle Einblicke in die Demokratieentwicklung in Österreich bietet, auf Probleme aufmerksam macht und Lösungen vorschlägt.