Aktiv am Westbalkan – ein Bericht aus Belgrad
Belgrad ist nicht nur Party-Hotspot am Balkan, sondern natürlich vor allem Hauptstadt Serbiens – eines Schlüssellandes in Südosteuropa. Das politische Klima in Serbien ist geprägt von der Auseinandersetzung über die proeuropäische oder prorussische Ausrichtung des Landes, von den schwierigen Verhandlungen mit dem Kosovo und nicht zuletzt von den autoritären Tendenzen unter Präsident Aleksandar Vučić. Das Karl-Renner-Institut ist schon seit vielen Jahren im Rahmen verschiedener Projekte gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und sozialdemokratischen Parteien aktiv. Letzte Woche sind wir deshalb nach Belgrad gereist, um uns persönlich ein Bild von der Lage im Land zu machen und uns mit unseren Partner:innen vor Ort auszutauschen. Wir kamen mit Vertreter:innen befreundeter Institute, Mitgliedern unserer Westbalkan-Initiative sowie Verantwortlichen sozialdemokratischer, grüner und liberaler Parteien zusammen, die beinahe ausnahmslos in Opposition zu Vučić und seiner Serbischen Fortschrittspartei (der Name ist nicht Programm) stehen.
Für oder gegen die EU, für oder gegen Russland?
Die Frage der internationalen Ausrichtung des Landes stand im Zentrum vieler Gespräche. Unter Präsident Vučić laviert das Land zwischen der EU und Russland. Einerseits führt Serbien seit 2014 EU-Beitrittsgespräche, andererseits hat sich das Land den EU-Sanktionen gegen Russland nach dem Angriff auf die Ukraine nicht angeschlossen. Diese ambivalente Haltung findet ihren Niederschlag auch in der Bevölkerung: Fast die Hälfte der Serbinnen und Serben befürwortet eine Annäherung an die EU, aber ebenso viele wollen (gleichzeitig) gute Beziehungen mit Russland aufrechterhalten. Russland hat es durch Unterstützung Serbiens in der Kosovofrage geschafft, als Partner, ja als verlässlichster Partner des Landes wahrgenommen zu werden. Der Westen hingegen wird spätestens seit den NATO-Bombardements im Zuge des Kosovokriegs 1999 argwöhnisch betrachtet. Die (wirtschaftliche) Realität ist weitgehend eine andere: Die EU ist mit Abstand der wichtigste Geldgeber des Landes, die EU-Staaten sind als Handelspartner wesentlich bedeutender als Russland, und europäische Unternehmen zählen zu den Hauptinvestoren in Serbien. Russland liefert immerhin zu relativ günstigen Konditionen Gas. Wenn es darum geht, wo die junge Generation Serbiens studieren oder arbeiten möchte, dann ist die Wahl ganz klar: So gut wie alle, die im Ausland leben möchten, wollen in die EU – so gut wie niemand nach Russland. Die Auswanderung hunderttausender Serbinnen und Serben in den letzten Jahren Richtung EU und Westen spricht für sich.
Flüchtlinge aus Russland stoßen auf prorussische serbische Nationalist:innen
Dass Russland dennoch zum besten Freund hochstilisiert wird, führt angesichts des Ukrainekriegs und seiner Folgen zu bizarren Situationen. Zehntausende Russinnen und Russen sind in den vergangenen Monaten vor Unterdrückung und der Gefahr, in den Krieg ziehen zu müssen, nach Serbien geflohen. Auch dort sind sie mit Medien konfrontiert, die höchst einseitig über den Ukrainekrieg berichten und eindeutig für Russland Partei ergreifen. Darüber hinaus stoßen sie – nicht zuletzt infolge der Politik Vučićs sowie der einseitigen Medienberichterstattung – auf viele nationalistisch gesinnte Menschen, die Putin verehren und Russland den Sieg am Schlachtfeld wünschen. Kopfschütteln und Unverständnis auf beiden Seiten sind die Folge.
Fehler der EU
Freilich hat auch die EU Fehler gemacht. Diese wurden uns in unseren Gesprächen vor Augen geführt: Zu lange haben Brüssel und die EU-Staaten Vučić und sein System gewähren lassen, da es ihnen vor allem um Stabilität in Serbien und am Westbalkan und weniger um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ging. In den Augen eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung hat die EU dadurch an Glaubwürdigkeit verloren. Zudem müsste die Union die beträchtliche Unterstützung, die sie für das Land leistet, besser kommunizieren. Und schließlich sollte sie dem Land mehr Teilhabe an der europäischen Integration bereits vor dem Vollbeitritt anbieten. Die Menschen in Serbien – wie viele Bewohner:innen am Westbalkan – haben das durchaus berechtigte Gefühl, ewig im Warteraum Europas zu sitzen und nicht willkommen zu sein.
Verhandlungen mit dem Kosovo
Zweites wichtiges Thema bei den Gesprächen in Belgrad waren die Verhandlungen zwischen Serbien und dem Kosovo über ein Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen. Diese Verhandlungen werden von der EU in Person Josep Borrells, des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik, federführend begleitet und vorangetrieben. Präsident Aleksandar Vučić führt diese Verhandlungen oft sehr widerwillig und beklagt wiederholt den seiner Ansicht nach massiven Druck der EU, einem Abkommen mit dem Kosovo zuzustimmen. Die Opposition verfolgt diese Verhandlungen mit Zurückhaltung, zum Teil auch Argwohn. Sie ist in die Gespräche nicht – auch nicht vonseiten Brüssels – eingebunden und kritisiert Intransparenz und Irreführung. Es besteht die Gefahr, dass die proeuropäischen Oppositionsparteien einem allfälligen Abkommen ihre Zustimmung verweigern werden.
Gleichgeschaltete Medien
Die autoritären Tendenzen im Land bildeten einen weiteren Schwerpunkt in unseren Gesprächen. Die Gesprächspartner:innen berichteten eindrücklich von der Gängelung der Opposition im Parlament und einem willfährigen Justizapparat. Gerichte und Höchstgerichte urteilen im Regelfall im Sinne der Regierung; Regel- und Gesetzesverstöße im politischen Alltag sowie die grassierende Korruption bleiben weitgehend ungesühnt. Besonders eindrücklich waren die Schilderungen hinsichtlich der Einschränkungen der Medienfreiheit. Die wichtigsten TV-Sender und Magazine des Landes berichten fast ausschließlich über Präsident Vučić und seine Regierung, und dies hauptsächlich positiv. Die Opposition kommt kaum vor und wenn, vor allem negativ. Ebenso einseitig, nämlich kritisch, wird über die EU berichtet. Angesichts dessen erscheint es als Lichtblick, dass die Oppositionsparteien und die fortschrittliche Zivilgesellschaft an Stärke zunehmen und dass immer noch rund 45 % der serbischen Bevölkerung eine Annäherung an die EU wünschen.
Nächstes Jahr finden in Serbien Kommunalwahlen statt. Allgemein wird auch damit gerechnet, dass der Präsident auch vorgezogene Parlamentswahlen abhalten lassen wird. Die Ausgangslage für die proeuropäische Opposition ist schwierig, aber nicht hoffnungslos. Der Weg zu Demokratie, Freiheit und schlussendlich in die Europäische Union steht Serbien immer noch offen – auch wenn er weit und beschwerlich ist.
Projektleitung
Mag.a Maria Maltschnig
Geschäftsführung