Armenien zwischen Vergangenheit und Zukunft
Wie geht es weiter im Südkaukasus?
Armenien hat in den vergangenen Jahren zwei Krisen, wenn nicht Katastrophen erlebt: Im Herbst 2020 starben im Krieg mit Aserbaidschan um die Region Bergkarabach rund 4.000 armenische Soldat:innen und Zivilist:innen. Rund zwei Drittel Bergkarabachs wurden von aserbaidschanischen Truppen erobert. Im September 2023 eroberte Aserbaidschan die gesamte Region, deren rund 100.000 Bewohner:innen nach Armenien flüchteten.
Vor diesem Hintergrund waren bei uns der Autor und Armenien-Kenner Herbert Maurer und die Südkaukasus-Expertin Maryla Hushcha (International Institute for Peace) zu Gast, um über das Übel des Nationalismus in Armenien, die Perspektiven für das Land und die Möglichkeiten für eine Friedenslösung mit Aserbaidschan zu diskutieren.
Armenien zwischen Internationalität und Nationalismus
Herbert Maurer wies darauf hin, dass es im heutigen Armenien in der Zerfallszeit der Sowjetunion keine nationalistische Unabhängigkeitsbewegung, sondern vielmehr eine Bürgerbewegung mit ökologischem Hintergrund gab. Lewon Ter-Petrosjan, der erste Präsident des unabhängigen Armenien, sei ein Intellektueller gewesen, der auf Internationalität Wert gelegt habe und gegen die „Verzwergung der eigenen Nation“ aufgetreten sei. Unter den darauffolgenden Regierungen habe sich dies jedoch geändert. Sie hätten auf die nationalistische Karte gesetzt, aber dennoch die Armee heruntergewirtschaftet. Der derzeitige Ministerpräsident Nikol Paschinjan sei gegen Chauvinismus und bemühe sich um einen offenen Dialog.
Chancen auf Frieden?
Laut Marylia Hushcha, die hauptsächlich Englisch sprach, bedeuten die verlorenen Kriege gegen Aserbaidschan 2020/2023 ein politisches und persönliches Trauma für Armenien und viele seiner Bewohner:innen. Da Russland alle Hoffnungen, dass es Armenien helfen würde, enttäuscht habe, suche das Land nach neuen Partnern. Traumata gebe es jedoch auch auf aserbaidschanischer Seite. Daher werde es schwierig werden, in den Verhandlungen zwischen den beiden Staaten zu einem Friedensabkommen zu gelangen und vor allem echten Frieden zu erreichen. Mehr als 80 % des Abkommens seien bereits ausverhandelt, aber die restlichen offenen Punkte würden sich als besonders heikel erweisen.
Impulsreferat
Herbert Maurer
Dichter, Essayist, Übersetzer und langjähriger Kenner der Entwicklungen im Südkaukasus; Autor des Buchs „Kaukasische Kreise. Planet Armenien“ (Klever Verlag)
Diskussion mit
Marylia Hushcha
Projektmanagerin und Forscherin am International Institute for Peace (IIP), Wien
Moderation
Gerhard Marchl
Leiter des Bereichs Europäische Politik am Karl-Renner-Institut
Die Diskussion fand mit freundlicher Unterstützung des International Institute for Peace (IIP) statt.
Projektleitung
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