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Buchpräsentation mit Viktor Mayer-Schönberger: "Machtmaschinen"

Im Juni war Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internetregulierung an der Universität Oxford, zu Gast bei uns im Renner-Institut. Bei einer der ersten Veranstaltungen des Jahres mit Live-Publikum diskutierte er mit SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter über die Themen, die er gemeinsam mit dem Wirtschaftsjournalisten Thomas Ramge im Buch „Machtmaschinen. Warum Datenmonopole unsere Zukunft gefährden und wie wir sie brechen“ bearbeitet.

Warum Datenmonopole ein Problem sind

Gleich von Beginn an überrascht Mayer-Schönberger: Seine Kritik an Technologie-Riesen und Datenmonopolen unterscheidet sich grundlegend von den üblichen Datenschutz-Argumenten; Überwachung und die Angst vor dem gläsernen Menschen spielen bei ihm keine wesentliche Rolle. Vielmehr sind seine Überlegungen angeleitet von der Grundprämisse: „Mehr über die Welt zu wissen ist immer besser, als weniger zu wissen.“ Als beispielsweise Anfang 2020 das gesamte Genom des Corona-Virus entschlüsselt war, wurden die Daten vollständig ins Internet gestellt. 72 Stunden später war der Moderna-Impfstoff fertig – übrigens nicht entwickelt von einem privaten Unternehmen, sondern von einem staatlichen Forschungsinstitut, dem National Institute of Health.

Auch im weiteren Verlauf der Pandemie wäre es möglich gewesen, das Patentrecht im Bereich der Impfstoffe auszusetzen, um schneller zu mehr Impfstoff zu kommen und somit die Entwicklung von Virus-Varianten zu vermeiden. „Es ist unvorstellbar für mich, dass wir das nicht gemacht haben.“

Wenn sich viele Daten in wenigen Händen befinden, ist das erstens eine Innovationsbremse. Die meisten Innovationen brauchen heute nämlich nicht mehr nur eine gute Idee und Kapital, sondern auch Zugang zu Daten, um aus einer Idee ein Produkt bilden zu können. Diesen Vorteil der datengetriebenen Innovation haben heute aber nur jene Unternehmen, die bereits groß und erfolgreich sind. Die 1990er seien viel innovativer gewesen als die heutige Zeit; nur unsere „Gegenwartseitelkeit“ verleite uns zu dem Glauben, dass wir in besonders innovativen Zeiten leben.

Das zweite Problem an Datenmonopolen ist die damit einhergehende Machtkonzentration, denn der Zugang zu Informationen ist und war immer verbunden mit Bemächtigung. In einer Demokratie müssen Informations-Ungleichgewichte ausgeglichen werden, um Machtkonzentration zu vermeiden. Darauf zielten auch die ersten Datenschutz-Gesetze ab: Das Datenschutz-Gesetz in Hessen (Deutschland) Anfang der 1970er legte beispielsweise fest, dass die Legislative (das Parlament) Zugang zu den Daten der Exekutive (Behörden, Regierung) haben muss – U-Ausschüssen in Österreich wäre durch so ein Gesetz auch geholfen!

Was uns für die Überwindung von Innovationsbremse und Machtkonzentration nicht weiterhelfen wird ist, einzelne Datenriesen unternehmensrechtlich zu zerschlagen. Die Dynamik zur Konzentration ist nämlich strukturell im Datenkapitalismus vorhanden. Einzelne Unternehmen aufzulösen wäre daher so, als würde man der Hydra einen Kopf abschlagen, und ein anderer wächst nach. Das Problem muss also an der Wurzel gepackt, der strukturelle Mechanismus dahinter verändert werden.

Auch keine Lösung sieht er im aktuellen Zugang zu Datenschutz – sondern grenzt sich sogar explizit davon ab: „Der Datenschutz – nach der Datenschutz-Grundverordnung – ist ein Holler.“ Warum? Er gibt uns das Gefühl, selbstbestimmt zu sein – aber in Wirklichkeit drücken wir alle „OK”, wenn die Zustimmungserklärung kommt. Statt dieser über-individualisierten Form des Datenschutzes brauche es kollektive Lösungen.

Verantwortung zuweisen, Daten teilen

Um diese strukturelle Veränderung voranzutreiben und kollektive Lösungen zu entwickeln, schlägt Mayer-Schönberger vor, erstens die Daten-Nutzer:innen für den Schutz der Daten verantwortlich zu machen, und zweitens Informations-Ungleichgewichte auszugleichen.

Zum Thema Verantwortung: Das erste nationale Datenschutzgesetz der Welt gab es 1971 in Schweden. In diesem Gesetz ist praktisch kein Individualrecht vorgesehen, es waren also nicht individuelle Personen, die die Nutzung ihrer Daten erlaubt oder abgelehnt haben. Stattdessen musste jede Datenverarbeitung vor eine Datenkommission gebracht werden, die die Auswirkungen abschätzt und entsprechend freigibt, mit Auflagen versieht, oder verbietet. Genau solche Regularien, Institutionen und Prozesse sind auch heute ganz normal in vielen anderen Bereichen, etwa bei Kollektivverträgen, bei Sicherheitsvorgaben im Anlagenbau oder der Entwicklung von Medikamenten, sowie bei Lebensmittelprüfungen und Fahrzeugtests. In all diesen Bereichen ist völlig klar, dass Individuen maßlos überfordert damit wären, mögliche Auswirkungen zu prüfen und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Und es ist ebenso klar, dass die Verantwortung dafür, wenn etwas schiefgeht, bei jenen liegt, die die Produkte verkaufen und Profit daraus ziehen. Diese Selbstverständlichkeit, sowie die entsprechenden kollektiven Regularien, Institutionen und Prozesse, braucht es auch bei der Nutzung von Daten.

Zum Ausgleich von Informations-Ungleichgewichten empfiehlt Mayer-Schönberger, als Ergänzung zur Datenschutz-Grundverordnung, eine Datennutz-Grundverordnung, die den Zugang zu entpersonalisierten Daten und Sachdaten regelt: „Eine Datennutz-Grundverordnung ist für unseren Wohlstand und unsere Demokratie so notwendig, wie eine Datenschutz-Grundverordnung für unsere bürgerlichen Rechte. Beide sind zwei Seiten derselben Medaille.“ Vorstellbar wäre etwa, dass Unternehmen ihre gesammelten Rohdaten in eine öffentliche Daten-Kooperative einspeisen müssen – vor allem jene Unternehmen, die öffentliche Förderungen erhalten. Dabei geht es primär um Sachdaten; diese machen heute den Großteil der Daten aus, die gesammelt werden. Sensordaten aus Maschinen beispielsweise: Bei einem einzigen Flug eines Airbus 380 sammelt ein Triebwerk 4 Gigabyte an Daten.

Bei Daten mit Personenbezug gibt es viele Möglichkeiten der De-Personalisierung, wie etwa Verschlüsselung oder Beifügung von erfundenen Daten, die eine Rückführung auf Personen zwar nie gänzlich verunmöglichen, aber diese mit einem extrem hohen Aufwand verbinden. Und dann muss man abwägen: zwischen der Möglichkeit von Datenmissbrauch einerseits, und der Chance, die gesellschaftliche Realität so zu analysieren wie sie ist, etwa indem auf gesellschaftlicher Ebene Zusammenhänge zwischen Gesundheitsdaten und sozioökonomischen Daten untersucht werden können.

Eine bessere Zukunft, und darin ist Mayer-Schönberger sehr deutlich, kann nur durch einen demokratisch regulierten, offenen Zugang zu Daten gestaltet werden: Um die Welt besser zu verstehen und darauf basierend bessere Entscheidungen zu treffen.

Zum Autor

Viktor Mayer-Schönberger ist Professor für Internetregulierung an der Oxford University. Zuvor war er zehn Jahre lang Professor in Harvard. Im Deutschen Digitalrat berät er die Bundesregierung zur Datenpolitik. Im Alter von 20 Jahren gründete er neben seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Salzburg die Software-Firma Ikarus und entwickelte ein Virenschutzprogramm, das eines der meistverkauften österreichischen Software-Produkte wurde.

Leseempfehlung

„Machtmaschinen. Warum Datenmonopole unsere Zukunft gefährden und wie wir sie brechen“, Thomas Ramge & Viktor Mayer-Schönberger (Murmann, 2020)