Der österreichische Antisemitismus.
Grundton der Ersten Republik
Eine Sonderausstellung des Karl-Renner-Museum in Gloggnitz
Das Karl-Renner-Museum in Gloggnitz versteht sich als ein offener Ort historischer Wissensvermittlung, demokratischer Bildungsarbeit und gesellschaftspolitischer Debatte. So stellt man sich dort auch brisanten Themen.
Zu einer Auseinandersetzung mit den Widersprüchen der Geschichte Österreichs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört vor allem die Beschäftigung mit dem Antisemitismus, der tief in die politische Kultur eingeschrieben war. Daher zeigt das Museum 2021/2022 eine Sonderausstellung, die sich mit dem Spannungsfeld einer generellen Politik der Feindschaft und der Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung österreichischer Jüdinnen und Juden in der Ersten Republik auseinandersetzt.
Der österreichische Antisemitismus
Wer die Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert begreifen will, muss sich auf eine Beschäftigung mit dem Antisemitismus einlassen. Seit dem Mittelalter sind antisemitische Propaganda, Agitation und rechtliche Diskriminierungen von Jüdinnen und Juden nachzuweisen. Im 19. Jahrhundert kam hinzu, dass die Habsburgermonarchie, im Zentrum Europas gelegen, allen geistigen Strömungen der Zeit ausgesetzt war. Sie wurde so zu einem Brennpunkt der damit verbundenen Innovationen und Konflikte. Das betraf auch die Bedeutung und Formen des Antisemitismus. Von katholischer Kirche und christlicher Volksfrömmigkeit verband sich traditionell gepflegter religiöser Antijudaismus mit „modernem“ pseudowissenschaftlich-rassistischem Antisemitismus. Eigenständige Formen des Judenhasses trafen auf west- und osteuropäische Einflüsse. Gemeinsam machten sie die österreichische Variante zu einer der ausgeprägtesten in West- und Zentraleuropa vor Hitlers Machtübernahme in Deutschland 1933 (Bruce F. Pauley). Verschärft wurde diese Tatsache dadurch, dass die Modernisierung Österreich-Ungarns durch Industrialisierung, Verwissenschaftlichung/Technisierung des Daseins, neue Ideologien und soziale Emanzipationsbestrebungen verspätet und somit „sprunghaft“ einsetzte. Konflikte zwischen traditionellen und „modernen“ Vorstellungen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft intensivierten sich. Gefühle der Orientierungslosigkeit und Zukunftsängste wurden mit dem Antisemitismus bedient und dieser selbst ein Instrument gegen die Veränderungen. Von vielen Institutionen (Kirchen, Parteien, Vereinen etc.) und deren Führungspersonal wurde er gepflegt und tief eingeschrieben in alltägliche Rituale und die politische Kultur.
Die Erste Republik bleibt die dauernde Mahnung, Politik nicht als Feindbildkonstruktion der Ausgrenzung und als ein Entweder-oder von Sieg und Niederlage zu verstehen. Viel mehr soll das Politische als ein Widerstreit unterschiedlicher Interessen und Werthaltungen verstanden werden, der auf rechtsstaatlichen/menschenrechtlichen Grundlagen, in demokratischen Prozessen des besseren Arguments und basierend auf einer Haltung der Kompromiss- und Kooperationsbereitschaft ausgetragen wird – im Sinne des Freiheits- und Gleichheitsversprechens der demokratischen Republik.
Institutionen und Akteur:innen
Die Verankerung des Antisemitismus in der österreichischen Gesellschaft der Ersten Republik ist so vielschichtig und umfassend, dass nicht alle Aspekte in dieser Ausstellung beleuchtet werden können. So liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung zentraler politischer und gesellschaftlicher Institutionen und Akteur:innen des jungen Gemeinwesens. Mit der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945 verschwand die weitverbreitete Judenfeindschaft nicht „plötzlich“. Daher werden auch deren Auswirkungen auf die Zweite Republik skizziert.