Springe zum Hauptmenü Springe zum Inhalt Springe zum Fußzeilenmenü

Der Osten Deutschlands: Freiheit auf dem Rückzug?

Warum ist die AfD so stark?

Spätestens die Bundestagswahlen am 23. Februar dieses Jahres haben deutlich gemacht, dass der Rechtsruck in ganz Deutschland endgültig angekommen ist. Mit 20,8 % der Stimmen wurde die Partei Alternative für Deutschland (AfD) zur zweitstärksten Partei. In Ostdeutschland hatte sie schon 2021 größtenteils über 20 % erreicht und bei der letzten Wahl vermochte sie in manchen Wahlkreisen fast 50 % der Stimmen auf sich zu vereinigen. Warum wählen Ostdeutsche 35 Jahre nach der Wiedervereinigung so anders als der Westen? Wieso wird die liberale Demokratie ausgerechnet dort in Frage gestellt, wo 1989 die erste erfolgreiche Revolution auf deutschem Boden stattfand? 

Der Historiker und Autor Ilko-Sascha Kowalczuk gehört zu den prägendsten Stimmen in der Debatte über das politische Klima im Osten Deutschlands. Am 17. März war er bei uns bei einer gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Veranstaltung zu Gast. Mit ihm haben wir diskutiert, welche historischen Entwicklungen zum heutigen Erfolg der AfD beigetragen haben – und warum der Kampf um die Demokratie in Ostdeutschland eine entscheidende Bedeutung für die Zukunft des ganzen Landes hat.

Die Rolle des Umbruchs und der fehlenden Aufarbeitung in Ostdeutschland

Der tiefgreifende Umbruch nach der Wiedervereinigung und die unzureichende Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit sind laut Kowalczuk einige der Ursachen für das extremistische Wahlverhalten in Ostdeutschland.

Ein Beispiel für diesen Umbruch sei, so Kowalczuk, dass im Jahr 1993 80 % der Ostdeutschen nicht mehr in der gleichen Institution gearbeitet hätten wie 1990. Zudem sei etwa die Hälfte der Bevölkerung direkt von Arbeitslosigkeit betroffen gewesen. Diese Umstände seien im Westen oft weitgehend ignoriert worden – zumindest in ihrem Ausmaß und ihrer Bedeutung. Dies ist für Kowalczuk einer der vielen Gründe, um die im Osten weit verbreitete Abneigung gegen den Westen und die damit verbundene Freiheit und Demokratie zu erklären. Ein weiterer Faktor ist laut Kowalczuk die fehlende Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Viele Menschen, die in der DDR lebten, hätten diese nicht als Diktatur wahrgenommen und würden dies bis heute nicht tun. Stattdessen blickten sie auf ein Leben zurück, das sie als sicher, angenehm und strukturiert wahrgenommen hätten. Dieses Sicherheitsgefühl nutzten vor allem extremistische Parteien wie die AfD, indem sie den Menschen eine Zukunft versprechen, die so aussehen würde, wie es schon einmal gewesen sei – eine vermeintlich geordnete und berechenbare Welt.

Wanderungsbewegung auch in den Osten

Positiv bewertete Kowalczuk die Tatsache, dass es nicht nur eine große Abwanderung aus Ostdeutschland gegeben hat, sondern auch zwei Millionen Menschen vom Westen in den Osten gezogen waren. Diese Menschen, so Kowalczuk, gehörten garantiert nicht zum Kernklientel der extremistischen Parteien und bildeten so einen Stabilitätsanker für die Demokratie im Osten.

Warnung vor autoritärem Zeitalter

In seinem Schlusswort äußerte Kowalczuk die Befürchtung, „dass wir in ganz Europa an der Schwelle zu einem autoritären Zeitalter stehen“. Die Gefahr sei sehr realistisch, dass das, was wir in den USA erleben, auch nach Europa „noch stärker rüberwachsen“ werde. Er habe jedoch sehr viel Mut daraus gewinnen können, wie Europa zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gestanden sei, nachdem dieser im Oval Office gedemütigt worden sei. Vor diesem Hintergrund hoffe er, dass sich seine Befürchtung noch abwenden lasse, vor allem dann, wenn jede:r Einzelne mit den ihr/ihm zur Verfügung stehenden Mitteln etwas dagegen unternehme.

Einführung

Michael Jennewein
Senior Researcher am FES Regionalbüro für internationale Zusammenarbeit – Demokratie der Zukunft

Impulsreferat 

Ilko-Sascha Kowalczuk
Historiker, Autor des Bestsellers Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute 

Moderation

Gerhard Marchl
Leiter des Bereichs Europäische Politik am Karl-Renner-Institut

Die Diskussion fand in Kooperation mit dem FES Regionalbüro für internationale Zusammenarbeit – Demokratie der Zukunft statt.

Projektleitung