EU: Die grüne Transformation, aber sozial gerecht
Wie kann die EU die grünen und digitalen Transformationen mit sozialer Gerechtigkeit verbinden? Was braucht es, um den Rückstand Europas im Umbau seiner Wirtschaft aufzuholen und die Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie wiederherzustellen? Mit diesen Fragen befassten wir uns am 5. Dezember bei einer Diskussionsveranstaltung mit dem SPÖ-Europaabgeordneten Andreas Schieder sowie den Expert:innen László Andor (Generalsekretär der Foundation for European Progressive Studies, FEPS), Lorenza Antonucci (Universität Birmingham) und Michael Soder (Arbeiterkammer Wien).
Ausgangspunkt der Diskussion war der Beginn der neuen EU-Legislaturperiode mit dem Amtsantritt der Kommission – vor dem Hintergrund der enormen geopolitischen Spannungen, der Klimakrise, der massiven Probleme mancher Industriezweige sowie der Notwendigkeit, den Green Deal und die grüne und digitale Transformation der Wirtschaft umzusetzen.
Die Veranstaltung fand im Rahmen des Treffens der Next Left Focus Group in Wien statt, die rund 15 Wissenschafter:innen aus weiten Teilen Europas umfasst. Das Forschungsprogramm Next Left wurde 2009 von der FEPS und dem Karl-Renner-Institut ins Leben gerufen. Es verfolgt das Ziel, den politischen Diskurs in Europa mit progressiven Ideen zu gestalten. Seit 2020 wird Next Left von Andreas Schieder geleitet.
Schieder: Gemeinsame europäische Lösungen nötig
In seiner Keynote betonte Andreas Schieder die Notwendigkeit einer einheitlichen europäischen Antwort auf gemeinsame Herausforderungen wie den Klimawandel und den Rückfall der EU im internationalen Wettbewerb, insbesondere gegenüber China. Er hob hervor, dass der erhebliche Investitionsbedarf von 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr für die Dekarbonisierung und die grüne Transformation nur gemeinsam gestemmt werden könne. Er trat für eine Weiterführung des Finanzierungsinstruments „Next Generation EU“ ein, das nach der COVID-Pandemie gegründet wurde und die gemeinsame Schuldenaufnahme vorsieht. Zudem unterstrich Schieder die Wichtigkeit von sozialer Gerechtigkeit, bezahlbarer Energie und Reformen im Wohnungssektor. Besorgt zeigte er sich über den wachsenden Einfluss rechtspopulistischer Kräfte und die Schwierigkeiten, in einem politisch fragmentierten Europäischen Parlament Konsens zu erzielen. Abschließend betonte er, wie entscheidend es insbesondere für die Sozialdemokratie sei, in den gegenwärtigen unsicheren Zeiten aktiv an Entscheidungsprozessen teilzunehmen, um die strategische Ausrichtung Europas beeinflussen zu können.
Grüner Umbau der Wirtschaft eine Notwendigkeit
FEPS-Generalsekretär László Andor verglich die heutige Krise mit der Eurokrise (ab 2010), während der er Mitglied der Europäischen Kommission und für Soziales zuständig war. Er stellte fest, dass die damalige Krise vor allem eine europäische gewesen sei, während die heutigen Herausforderungen eher von außen kämen: geopolitische Instabilität, mögliche wirtschaftliche Auseinandersetzungen mit den USA, Kriege in der Nachbarschaft. Für Andor sind die grüne und digitale Transformation sowie die soziale Gerechtigkeit nicht nur eine von mehreren Optionen, sondern schlicht notwendig. Die sozialdemokratische Familie könne trotz ihrer schwächeren Position mit guter Koordination viel erreichen.
Beim Green Deal die soziale Dimension nicht vergessen
Für Michael Soder, Autor des Buchs „Eine grüne Revolution“, verfolge die EU mit dem Green Deal das Ziel, bei der grünen und digitalen Transformation federführend zu sein. Das Problem sei jedoch, dass die Umsetzung in den Mitgliedstaaten unterschiedlich schnell verlaufe. Zudem stünden in der EU-Industriepolitik angesichts der Auseinandersetzung mit China und den USA zunehmend die Wettbewerbsfähigkeit und Militarisierung im Mittelpunkt. Soder plädierte dafür, die soziale Dimension des Green Deals nicht zu vergessen. Der Umbau der Wirtschaft müsse fair verlaufen, um die politische Unterstützung zu sichern. Die soziale Gerechtigkeit müsse dabei im Mittelpunkt stehen.
Konkrete soziale Maßnahmen sind nötig
Darauf aufbauend meinte Lorenza Antonucci von der Universität Birmingham, dass die Gefahr bestehe, dass sich die grüne Transformation negativ auf die soziale Sicherheit der Bevölkerung auswirke. Ohnehin befinde sich die EU in einer Phase hoher Unsicherheit, mit wachsender Sorge der Menschen um ihre Arbeitsplätze einhergehend mit sinkender Arbeitszufriedenheit. Um die Bevölkerung in Zeiten von Unsicherheit und Transformation abzusichern, müsse die EU neue soziale Schutzmechanismen auf individueller Ebene und Maßnahmen, die die Lebensqualität verbessern, entwickeln.
Keynote
Andreas Schieder
MEP, Head of the SPÖ delegation in the European Parliament
Discussants
László Andor
General Secretary of the Foundation for European Progressive Studies (FEPS), Brussels
Lorenza Antonucci
Associate Professor in the Department of Social Policy, Sociology and Criminology at the College of Social Sciences at University of Birmingham
Michael Soder
Economist in the Economic Policy Department of the Vienna Chamber of Labour; author of the book "Eine grüne Revolution"
Moderation
Maria Maltschnig
Director of the Karl-Renner-Institut, Vienna
Die Diskussion in englischer Sprache fand in Kooperation mit der Foundation for European Progressive Studies (FEPS) statt.