Studierendenproteste in Serbien: Junge in der Demokratiebewegung Südosteuropas
Vortrag und Diskussion
Vor dem Hintergrund der laufenden Studierendenproteste in Serbien, der Debatten über das Schicksal des politischen Regimes des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, des Schweigens Europas und des Aufstiegs antidemokratischer Tendenzen diskutierten wir am 2. April am International Institute for Peace (IIP) darüber, wie junge Menschen in Südosteuropa die Zukunft gestalten und den demokratischen Geist der Region neu beleben können. Zu Gast waren mit Tatjana Rašić und Boris Kojčinović zwei Vertreter:innen der Studierendenproteste in Serbien, sowie die Expert:innen Larissa Lojić, Luka Čekić und Vedran Džihić. Dabei haben wir auch die neuesten Forschungen der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zu den Wahrnehmungen der Jugend in Südosteuropa herangezogen, um ein umfassenderes Bild der Region zu zeichnen.
Hannes Swoboda: Hoffnung auf Wandel
Hannes Swoboda, ehemaliger SPÖ-Europaabgeordneter und Präsident des IIP, unterstrich in seiner Begrüßung, wie die studentischen Proteste in Serbien ihm und vielen anderen Menschen, vor allem auf dem Balkan, große Hoffnungen auf eine bessere und demokratische Zukunft geben würden. Friedliche Proteste und Demonstrationen seien ein wichtiger Bestandteil des demokratischen politischen Wandels, der den Druck auf die Regierung erhöhe und den Wunsch nach Fortschritt verwirkliche.
„Youth Study“ zu Südosteuropa
Für die neue Jugendstudie der FES wurden in zwölf Ländern 9.000 Personen im Alter von vierzehn bis neunundzwanzig Jahren befragt, wie Džejna Smolo Zukan in ihrer Einführung erläuterte. Hierbei stellte sich heraus, dass Korruption und Arbeitslosigkeit die Hauptsorgen der Jugendlichen in Südosteuropa seien. Die Sorge vor Arbeitslosigkeit sei nicht nur bei Arbeitslosen, sondern auch bei Berufstätigen groß. Das stärkste Motiv der jungen Menschen, ihr Land zu verlassen, sei der Wunsch nach Verbesserung ihrer sozioökonomischen Umstände.
Bei den politischen Erkenntnissen der Studie sei laut Džejna Smolo Zukan ein Unterschied zwischen Männern und Frauen zu erkennen. Obwohl das allgemeine Interesse an der Politik relativ gering sei und im Durchschnitt bei drei von fünf Punkten liege, sei dieses bei männlichen Befragten größer. Diese ordnen ihre politische Überzeugung eher dem konservativen und rechten Spektrum zu. Dagegen engagierten sich weibliche Befragte deutlich mehr in der Zivilgesellschaft, beispielsweise bei Hilfsorganisationen oder Protesten. Insgesamt sei die Unterstützung für die EU in den letzten fünf Jahren gesunken.
Forderung nach weniger Korruption und mehr Transparenz
Tatjana Rašić, eine Vertreterin der serbischen Studierendenproteste, legte eingangs die Dimensionen der Bewegung dar. Seit dem Einsturz des Bahnhofs in Novi Sad am 1. November 2024 habe es mehr als 1.700 Proteste gegeben, die sich in ganz Serbien verbreiteten. Der Höhepunkt sei am 15. März 2025 in Belgrad erreicht worden – mit mehr als 300.000 Protestierenden. Zudem betonte sie, dass es sich nicht mehr um eine studentische Bewegung handle, sondern um einen Bürger:innenprotest.
Anschließend sprach Rašić über die schwindende Angst der Bevölkerung gegenüber dem Regime Vučić, die mittlerweile nur noch in Bruchteilen vorhanden sei. Vordergründig sei nun die individuelle Angst vor Gewalt, die Vučić bei den Protesten einsetze, sowie die Sorge um Familie und Bekannte, die ihre Jobs verlieren oder anderweitig Probleme bekommen könnten. Hauptziel dieser Proteste sei, die Korruption der Regierung offenzulegen und alle Dokumente zur Renovierung des Bahnhofs in Novi Sad zu veröffentlichen. Zusätzlich betonte sie, dass es für die Protestierenden kein Zurück mehr gebe und ein Abbruch zu einer deutlichen Verschlechterung der Zukunftsaussichten des Landes führen würde. Daher habe es oberste Priorität, diese Bewegung weiterzuführen.
Die Angst sinkt, die Hoffnung steigt
Luka Čekić bestätigte die schwindende Angst der serbischen Bevölkerung, die auch in Wien deutlich zu erkennen sei. Direkt nach dem Vorfall in Novi Sad habe es auch in Wien Proteste der Diaspora gegeben, bei denen aus Angst vor Verfolgung jedoch nur 20 bis 30 Menschen und keine jungen Studenten aus Serbien erschienen seien. Wenige Monate später hätten sich mehr als 1.000 Menschen versammelt. Dank der Student:innen in Serbien gehe die Angst überall zurück. Larissa Lojić schloss sich dem an und betonte, dass die Bewegung große Hoffnung wecke – nicht nur in Serbien selbst, sondern in der gesamten Region.
Der wachsende Autoritarismus und die Brutalität Vučićs
Über die Jahre sei das Regime Vučić brutaler geworden – bis hin zur verfassungswidrigen Nutzung von Schallwaffen bei der Demonstration am 15. März dieses Jahres in Belgrad, so Vedran Džihić. Vučić fühle sich zudem durch die wachsenden autokratischen Entwicklungen in der Welt, insbesondere in den USA, bestärkt. Daher seien die Proteste umso wichtiger, um diesem autokratischen Trend entgegenzuwirken – und sollten eine Inspiration für die EU im Kampf um die Demokratie darstellen. Džihić betonte zudem, dass die EU durch ihre Passivität in dieser Angelegenheit das Vertrauen der jungen Menschen verliere, die an einer demokratischen Zukunft in Serbien sowie im gesamten Südosten interessiert seien.
Die EU spiele bei den Protesten, so Rašić, nur in der Hinsicht eine Rolle, dass die EU wahrnehme, was im Land passiert.
Die künftige Rolle der Protestierenden und der EU
Alle Expert:innen und Aktivist:innen waren sich einig, dass die Student:innen nicht versuchen sollten, eine neue Regierung zu bilden. Für den Fall, dass Vučić abtritt, könnten die Student:innen Politiker:innen beratend unterstützen. Zum möglichen Wiederaufbau betonte Čekić die ausreichende Expertise und wichtige Eigenverantwortung der serbischen Bevölkerung, die eine Hilfe seitens der EU unnötig mache. Lojić und Džihić widersprachen hier: Man müsse so viel Hilfe wie möglich in Anspruch nehmen, sowohl von der EU als auch anderen Nationen und Organisationen. Rašić betonte weiters, dass jede Hilfe willkommen sei und unterstrich in ihrem Schlusswort die Forderung der Protestierenden für ihr Land: Sie wollen die Wahrheit von der Regierung hören und keine Angst mehr vor dieser haben.
Begrüßung
Hannes Swoboda
Präsident S&D-Fraktion im EP ret., Präsident International Institute for Peace (IIP), Wien
Saša Vasić
Friedrich-Ebert-Stiftung Südosteuropa (FES), Sarajevo
Einführung
Džejna Smolo Zukan
Friedrich-Ebert-Stiftung Südosteuropa (FES), Sarajevo
Expert:innen
Vedran Džihić
Senior Researcher, Österreichisches Institut für Internationale Politik (OIIP), Wien
Tatjana Rašić
Vertreterin der studentischen Proteste in Serbien, Novi Sad
Boris Kojčinović
Vertreter der studentischen Proteste in Serbien, Novi Sad
Larissa Lojić
Europäische Jugenddelegierte, Mitglied der Österreichischen BiH-Jugendinitiative, Wien
Luka Čekić
Projektassistent, Weltinstitut für nukleare Sicherheit (WINS), Wien
Moderation
Stephanie Fenkart
Direktorin, International Institute for Peace (IIP), Wien
Die Diskussion fand in Kooperation mit dem International Institute for Peace (IIP), dem Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) statt.
Projektleitung
