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Gleichstellungspolitik auf dem Prüfstand

Feminismus 2050: Nicht weniger als die Norm

Empirische Untersuchungen der letzten Jahre – etwa die vierte Zeitverwendungsstudie, die große Wiener Frauenbefragung 2022 oder der AK-Wiedereinstiegsmonitor – zeichnen ein klares Bild: Die Lebensrealitäten vieler Frauen haben sich seit den 1990er-Jahren nur geringfügig verbessert. Traditionelle Rollenzuschreibungen, ökonomische Ungleichgewichte und ein überproportional hoher Anteil unbezahlter Arbeit lasten weiterhin primär auf den Schultern von Frauen. Väter nehmen Elternkarenz – wenn überhaupt – meist nur für kurze Zeit und in den Sommermonaten Juli und August in Anspruch.

Unvollendete feministische Kämpfe

Die Philosophin Silvia Federici spricht von einer unvollendeten feministischen Revolution, da die feministische Bewegung es geschafft habe, spezifische Formen der Ausbeutung von Frauen sichtbar zu machen – reproduktive Arbeit, unbezahlte Arbeit wie Hausarbeit, Sexualität oder Familienverhältnisse –, aber keine Strategien gefunden habe, um diese Verhältnisse zu verändern. Stattdessen habe sie sich auf den Kampf um Gleichberechtigung und den Eintritt in männerdominierte Arbeitsfelder konzentriert.

Die Emotionalität der Männer

Die Bundesministerin für Justiz, Anna Sporrer, spricht von den Verdiensten der Frauenbewegung im Gewaltschutz und der Hartnäckigkeit von Frauen, an Zielen trotz harter Widerstände festzuhalten. Erst 1947 wurden Richterinnen berufen. Zuvor trauten es Männer Frauen nicht zu – sie würden zu emotional agieren. Mittlerweile zeigt sich die Ministerin belustigt, wie emotional Männer in aktuellen Debatten zur Bundesstaatsanwaltschaft oder zum Gewaltschutz reagieren.

Institutionalisierter Feminismus – ein Fehler?

War es ein leichterer Weg, den institutionalisierten Feminismus zu verfolgen? Sandra Konstatzky ist als Leiterin der österreichischen Gleichbehandlungsanwaltschaft die personifizierte Vertreterin jener Feministinnen, die in staatlichen Strukturen vertreten sind. Aus ihrer Perspektive wurde viel erreicht: die gesetzliche Verankerung der Gleichbehandlungsanwältin unter Johanna Dohnal in den 1990er-Jahren und der Wandel zur Gleichbehandlungsanwaltschaft sowie deren Ausbau in den Bundesländern in den 2000er-Jahren. Offen ist die Einräumung eines Klagsrechts der Gleichbehandlungsanwaltschaft.

Der Kulturkampf der Antifeministen dominiert

Währenddessen feiern antifeministische Strömungen eine Rückkehr zum traditionellen Familienverständnis als eine Sache der Natur. Videos von Frauen dazu finden sich häufig im eigenen Social-Media-Feed: modelhaft aussehende Frauen, umgeben von Kleinkindern – vielleicht mit einem Baby auf dem Arm –, sind von früh bis spät mit Versorgungspflichten im Haushalt beschäftigt. Ihre Hauptaufgabe: dem Mann zu Hause einen schönen Rückzugsort zu bieten und dessen Gesundheit und Wohlbefinden ausreichend zu stärken. Dass dies eine für die breite Bevölkerung finanziell leistbare Form des Lebens sein könnte, geben statistische Daten nicht her. Gut situierte Paare können sich diesen Luxus-Lebensstil leisten. Denn weder steigen die Mediangehälter der Bevölkerung in einem Ausmaß, dass das angestrebte Ein-Ernährer-Modell für eine ganze Familie gut funktionieren könnte, noch sind Frauen in diesem Modell finanziell ausreichend abgesichert – für den Fall einer möglichen späteren Trennung oder für die Pension. Dass sich selbst junge Frauen diese Form des Biedermeiers wünschen oder vorstellen können, lässt Bundesrätin Amelie Muthsam nicht verzweifeln, sondern umso härter an politischen Kompromissen arbeiten.

Reproduktionsarbeit im Kollektiv

Dabei war ein derartiges ‘traditionelles’ Familienbild auch in der Vergangenheit ein Minderheitenprogramm. Schon die sozialdemokratischen Abgeordneten in der Ersten Republik kämpften mit ihren Anträgen für Lebensmodelle, in denen technische Errungenschaften Hausarbeit für Frauen erleichtern oder durch Zusammenschlüsse von Haushalten Freiräume schaffen können:

„Die Arbeitsteilung war die Wegbegleiterin aller menschlichen Kultur. Wo gibt es Arbeitsteilung im Haushalt? Heute, wie eh und je, wird in den fünfhundertfünfzigtausend Wiener Wohnungen einzeln das Essen zubereitet, 155.000 Mal ein paar Häuptel Kohl eingebrannt und 155.000 Schaffel mit schmutzigen Geschirr von 550.000 Frauen in 155.000 Küchen reingewaschen. … Die grundsätzliche, die wahrhaft revolutionäre Forderung ist darum: „Das Hauswesen unter das System des technischen Fortschrittes, der Arbeitsteilung und der Konzentration zu stellen.““

Marianne Pollak, Haushalt und Frauenbefreiung. Revolutionierung des Alltags. Frauentag 1927

Das Ziel: mehr freie Zeit, sich selbst zu bilden, zu engagieren, einer eigenen Erwerbsarbeit nachzugehen oder schlicht die Freizeit genießen können, über die Männer verfügen. So formuliert Therese Schlesinger, eine der ersten weiblichen Abgeordneten, im Handbuch der Frauenarbeit in Österreich der AK Wien 1930 folgende Forderungen arbeitender Frauen an Gesetzgebung und Verwaltung:

„Die Erwerbsarbeit der Frau auf allen Gebieten ist aus unserem Wirtschafts- und Kulturleben nicht mehr wegzudenken. Nicht sie zu beseitigen, sondern sie unter gesunde und menschenwürdige Bedingungen zu bringen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Gesetzgebung und Verwaltung.“

Therese Schlesinger

Auch Käthe Leichter schrieb in der 1932 herausgegebenen Studie „So leben wir. 1.320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben“:

„Kein „Zurück ins Haus!“, kein Versuch, sich der geschichtlichen Entwicklung entgegenzustemmen – aber andere Gestaltung der weiblichen Berufsarbeit und Entlastung von außerberuflicher Arbeit: das ist die eigentliche Schlussfolgerung, die aus unserer Erhebung zu ziehen ist.“

Käthe Leichter

Mehr als 100 Jahre nach den ersten gleichstellungspolitischen Anträgen der ersten acht Parlamentsabgeordneten sind zentrale Forderungen von damals nicht umgesetzt oder werden erreichte Fortschritte sogar rückgebaut.

Recht schafft Ordnung

Eine fundierte Analyse zur Rechtsstellung von Frauen anhand neun unterschiedlicher Rechtsgebiete liefert die kürzlich erschienene Publikation „Genderbias im Recht“. Die Autorinnen streichen heraus, wie wichtig es nach wie vor für Gleichstellungsmaßnahmen ist, dass es supranationale Zusammenhänge wie die EU gibt, die Entsprechendes einfordert. Die Entgelttransparenzrichtlinie ist dafür ein gutes Beispiel. Bereits 2011 wurde in Österreich die Entgelttransparenz mit einem Stufenplan eingeführt. Die Richtlinie auf EU-Ebene führte zu einem engeren Berichtszeitraum für Betriebe und zu einer Herabsetzung der Berichtspflicht auf Unternehmen mit mehr als100 Mitarbeiter:innen. Egal, ob im Sozialrecht oder im Pensionsrecht auf detaillierte Regelungen geachtet wird – zentrales Problem bleibt, dass verlängerte Durchrechnungszeiträume für die Pension oder das Abstellen auf ununterbrochene Erwerbsverläufe die männlichen Erwerbstätigen als Maßstab herangezogen werden. Hier gibt es für aktuelle und künftige Regierungen viel zu tun. In welche Richtung (rechts-)konservative Politiken gehen, wissen wir (siehe die oben angeführten Hausfrauen).

Über Potenziale sprechen

Die langen Bögen der Gleichstellungpolitiken werden nur von progressiven Bewegungen und von feministischen Strömungen, die sich ihrer gemeinsamen Kraft bewusst sind, vorangeschoben. Mitautorin Natascha Fürst bedient sich hier der Schildkröten-Metapher der amerikanischen Schriftstellerin und Journalistin Rebecca Solnit: Um Fortschritte als solche zu erkennen, müsse man diese bis zu ihren oft Jahrzehnte zurückliegenden Wurzeln verfolgen. Manches Mal fühle sich Solnit mitunter wie eine Schildkröte auf einer Party von Eintagsfliegen. Und wie Muskeln immer wieder trainiert werden müssen, müssen auch Feministinnen immer wieder trainieren – schließlich sind Frauen in der Mehrheit und bräuchten sich nicht verunsichern lassen.