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Helfen statt strafen – 50 Jahre Fristenregelung

Eine europäische Perspektive auf die Abtreibungsfrage

Über den eigenen Körper entscheiden zu können ist für Frauen keine Selbstverständlichkeit und ein Thema, das wiederkehrend diskutiert wird – egal, in welchem Jahrzehnt Frau lebt. Der Schwangerschaftsabbruch in Österreich ist eine privat zu bezahlende Gesundheitsleistung, die schwer zugänglich ist (v. a. in Vorarlberg, Tirol und dem Burgenland) sowie außerhalb einzuhaltender Fristen unter Strafe steht.

Österreich zählt zu Kategorie 3 von 5

Nach der belgischen Politikwissenschafterin Bérengère Marques-Peirera steht Österreich in der Tradition mit süd- oder mitteleuropäischen Ländern wie Italien, Deutschland, Portugal und Zypern, in denen der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch zwar legalisiert wurde, aber durch langwierige Abläufe, hohe Kosten und/oder eine eingeschränkte Verfügbarkeit erschwert wird.

Laeticia Thissen, Senior Policy Analystin der Foundation for European Progressive Studies, präsentierte im Rahmen der Veranstaltung „Helfen statt strafen – 50 Jahre Fristenregelung“ weitere Kategorien, an denen sich Österreich ein Beispiel nehmen könnte. 

So bieten zum Beispiel Dänemark, Finnland und die Niederlande einen einfachen Zugang zu Abtreibungen auf Wunsch mit nur wenigen einschränkenden Bedingungen.

Parlamentarische Mehrheiten sind essenziell

Diese Entwicklungen spiegeln sich in Österreich nicht wider. Bestes Beispiel sind die Auseinandersetzungen zur Schwangerschaftsabbruchfrage in Vorarlberg. Der Vorarlberger Landtag beschloss mehrheitlich (Gegenstimmen: FPÖ), dass im Verlauf des weiteren Jahres eine Nachfolgelösung für sichere Schwangerschaftsabbrüche in Vorarlberg - die Gesundheitslandesrätin dachte eine entsprechende Unterbringung im Landeskrankenhaus an - umzusetzen sei. Nach einem Statement des Vorarlberger Diözesanbischof entschlossen sich die politischen Spitzenvertreter:innen der ÖVP, entgegen dieses gesetzlichen Beschlusses andere Wege einzuschlagen. Diese bedenklichen demokratischen Entwicklungen zeigte SPÖ-Bundesfrauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner auf.

Der Widerstand des Heiligen Stuhls und religiöser Fundamentalist:innen

Dass religiöse Vertreter:innen in dieser Frage im internationalen Kontext eine klare Meinung vertreten, strich die Nationalratsabgeordnete und Präsidentin des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte, Penny Bayr, heraus: Das zeigten nächtelangen Verhandlungen bei der CSW (Frauenstatuskommission der Vereinten Nationen). Denn es mache einen Unterschied, ob jemand am Stück verhandle oder in einem Schichtsystem arbeiten und sich regelmäßig abwechseln kann, wie das bei Vertreter:innen des Vatikans der Fall ist.

In ihrem Buch widmet sich Marques-Peirera der Rolle des Heiligen Stuhls und seinen unterschiedlichen Positionierungen. Im aktivistischen Bereich gibt es religiöse Vertreter:innen, die für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch auf Wunsch eintreten, etwa die Bewegung der „Catholics pro Choice“. Zeitgleich arbeiten religiöse fundamentalistische Bewegungen mit unterschiedlichen Strategien an der Unterwanderung sämtlicher progressiver Regelungen. Neil Datta, der Gründer und geschäftsführende Direktor des European Parliamentary Forum for Sexual and Reproductive Rights identifizierte zwei Strategien, wie diese Gruppierungen vorgehen: Sie kampagnisieren offen oder verdeckt via Petitionen, verklagen Regierungen oder schaffen mit gezielten personellen Veränderungen Realitäten in politisch sehr relevanten Institutionen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Besetzung von Höchstgerichten, was in einem Case-Law-Land wie den USA dramatisch sichtbar wird und mittlerweile zu einem „Fleckerlteppich“ an Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch führte.

Welche Gesellschaft wollen wir?

Diese Angriffe auf die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Frauen mobilisiert deren Umfelder und im Speziellen auch Männer. Wer will schon in einer Gesellschaft leben, wo eine Schwangerschaft aufgrund rechtlicher Vorgaben zum Tod von Frauen führt. Einen weiteren wichtigen Punkt sieht Marques-Peirera in der Weiterentwicklung sozialer Bürger:innenrechte (citizenship): dem Recht von Frauen, abseits der Staatsbürger:innenschaft Gesundheitsleistungen in einem Land in Anspruch zu nehmen.

Ein Schrecken ohne Ende oder ein Ende mit Schrecken

Was aus historischer Perspektive bleibt, ist die Beständigkeit der seit Jahrhunderten andauernden Debatte. Der Verlauf zeigt, wie wichtig kontinuierliches Engagement sowohl im Kleinen als auch im Großen ist: Das erste große österreichische Strafgesetzbuch aus dem 18. Jahrhundert sah für Abtreibungen die Todesstrafe vor. Diese Regelung wurde im 19. Jahrhundert in eine Gefängnisstrafe umgewandelt, die noch bis zum Inkrafttreten der Fristenregelung 1975 galt. Im selben Jahr wurde die Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht in den USA gefällt, Roe vs. Wade. Knapp 50 Jahre später, 2022, wurde diese Grundsatzentscheidung gekippt und der Zugang zu reproduktiven Rechten in den USA eingeschränkt. Auf europäischer Ebene kämpfen aktuell Parlamentarier:innen um ein Grundrecht auf reproduktive Rechte. Wie hart diese Bretter für Parlamentarier:innen zum Bohren sind, durfte schon Adelheid Popp in der ersten Republik erfahren:

„Ich habe im Auftrage meiner Fraktion einen Antrag eingebracht, dass diese Paragrafen des Strafgesetzes abgeändert werden sollen, dass der Arzt das Recht bekommen soll, in den ersten drei Monaten, wo sich die Frau im Zustand der werdenden Mutter befindet, einzugreifen. Es hat sich […] daran eine große Hetze geknüpft, […] wo die Herren Bischöfe […] sagen: Das Leben im Mutterschoß galt bisher als heilig. Und nun soll, wer das Kind im Mutterschoße tötet, in Zukunft straffrei bleiben. Mütter sollen ungestraft Kindesmörderinnen werden können.“

Adelheid Popp, 12. März 1921

Locker ließ sie nicht. Daran konnten die SPÖ-Frauen in den 70er Jahren gut anknüpfen. Nun sind es überparteiliche Initiativen wie #AusPrinzip, die nicht nur Widerstand üben, sondern an einer sicheren, kostenlos verfügbaren Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch arbeiten.

Die stark gekürzte deutsche Version des Buches "Abortion in the European Union" findet sich in unseren Publikationen.

Die Veranstaltung „Helfen statt Strafen – 50 Jahre Fristenregelung“ fand in Kooperation mit der Foundation for European Progressive Studies (FEPS) statt.

Projektleitung

Barbara Hofmann

Mag.a Barbara Hofmann

Bereichsleitung Gleichstellungspolitik, Nachwuchsförderung und Online-Akademie