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Kurt-Rothschild-Preis 2020: Umfassende Investitionen statt Spardiktat

Ende September wurden zehn Wissenschafter:innen mit dem Kurt-Rothschild-Preis 2020 ausgezeichnet. Im Zentrum stand der Hauptpreisträger Achim Truger, deutscher Wirtschaftsweiser und entschiedener Gegner der Schuldenbremse. Der Preis stärkt Forschung und Wissenschaftskommunikation, die relevante Ergebnisse erzielt indem sie ökonomische Fragestellungen in einen breiten Kontext stellt, statt neoklassische Glaubenssätze zu reproduzieren.

In Erinnerung an die großen Leistungen des österreichischen Ökonomen Kurt Rothschild, der mit seinem Wirken Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in Österreich nachhaltig geprägt hat, vergeben das Karl-Renner-Institut und der SPÖ-Parlamentsklub seit 2016 den Kurt Rothschild Preis für Wirtschaftspublizistik. Der Preis prämiert Beiträge von Wirtschafts- und Sozialwissenschafter:innen, die in exemplarischer Weise versuchen, neue Antworten auf die großen wirt­schafts- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit im Geiste Kurt Rothschilds zu geben. Es werden Wissenschafter:innen ausgezeichnet, die sich nicht nur an eine akademische Öffentlichkeit, sondern auch an eine breite Medienöffentlichkeit wenden – und damit den Mut beweisen, sich in die politische Debatte einzubringen.

Informationen zu den Preisträger:innen 2020

Verleihung des Kurt-Rothschild-Preises 2020

Am 28. September 2020 wurden im Rahmen einer – coronabedingt kleinen aber dennoch feierlichen – Preisverleihung zehn Wissenschafter:innen mit dem Kurt-Rothschild-Preis ausgezeichnet. Schauplatz der Preisverleihung war das Ausweichquartier des Parlaments am Stubenring 8-10, ehemaliger Hauptsitz der Wiener Wirtschaftskammer und Hauptquartier der „Stubenring-Gruppe“ rund um Friedrich Hayek und Ludwig Mises. Ein wichtiger Wirkungsort neoliberaler Denker wurde somit ein knappes Jahrhundert später, durch die Verleihung des Kurt-Rothschild-Preises 2020, zur Bühne der Würdigung progressiver Wirtschafts- und Sozialwissenschaft.

Zum Video der gesamten Veranstaltung

Fotos der Preisverleihung

"Politik braucht das wissenschaftliche Nachdenken."

In ihrer Begrüßungsrede erinnerte Doris Bures, Zweite Präsidentin des Nationalrates und Präsidentin des Karl-Renner-Instituts, an die Intention des Rothschild-Preises: „Wir wollen Wissenschafter:innen abseits des neoliberalen Mainstreams fördern.“ Gerade in einer liberalen Demokratie erfolge die Entscheidungsfindung nicht allein durch das Abwägen von Pro und Contra, sondern: „Wir brauchen die drei Eigenschaften – Weisheit, Strategie und Mut – wenn wir das wichtigste Fundament unserer liberalen Demokratie festigen wollen, nämlich das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit“. Politik brauche das wissenschaftliche Nachdenken.

Auch SPÖ-Bundesparteivorsitzende und Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner warnte in ihrer anschließenden Rede vor den dramatischen und umfassenden Folgen der COVID-Krise und der drängenden Notwendigkeit, steuernd einzugreifen. „Corona trifft uns alle. Gesundheitlich, wirtschaftlich und sozial. Vor allem die Lage am Arbeitsmarkt spitzt sich immer mehr zu. Betriebsschließungen sind keine Einzelfälle mehr. Die Kurve der Arbeitslosigkeit steigt und hinter dieser Kurve stehen Menschen, Familien, Schicksale. Wir dürfen das nicht wegleugnen!“, so der deutliche Appell Rendi-Wagners in Richtung Regierung. Dass der diesjährige Hauptpreis an Achim Truger geht, ist „ein Signal dafür, dass es gefährlich ist, zu zögerlich, zu unentschlossen zu handeln. Wir brauchen mehr Entschlossenheit, um vor allem die Krisenfolgen für den Arbeitsmarkt abzumildern. Arbeitslosigkeit darf nicht einfach nur verwaltet, sondern muss proaktiv bekämpft werden!"

Achim Truger: „Die deutsche Schuldenbremse: Kein Vorbild für Europa“

Achim Truger erhielt den Hauptpreis 2020 für seine wissenschaftliche Analyse der deutschen Schuldenbremse und deren wirtschaftliche Effekte, sowie für die umfangreiche wirtschaftspublizistische Verwertung seiner Forschungsergebnisse.

"Was gäbe es in Zeiten wie diesen wichtigeres, als genau diese Impulse zu setzen?"

Markus Marterbauer, AK-Ökonom und Vizepräsident des Fiskalrates, würdigte in seiner Laudatio Achim Truger als Gegenpol und zugleich Berater der aktuellen Politik: „Achim Truger ist Verfechter einer Ökonomie, die den Menschen dienen will. Das heißt, er betreibt Ökonomie, die sich mit den sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Zeit beschäftigt und einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen leisten will. Kurt Rothschild hat diese Ökonomie als ‚relevante Ökonomie‘ bezeichnet. Also berät Achim die Politik mit stets durch Zahlen und Fakten gut abgesicherten und umsetzungsorientierten konkreten Vorschlägen. Zum Beispiel mit dem Vorschlag der ‚goldenen Investitionsregel‘, das heißt, mit der Ermöglichung mittelfristiger staatlicher Verschuldung im Ausmaß der Nettoinvestitionen der öffentlichen Hand. Das Ziel dieser Regel ist es, öffentliches Vermögen und öffentliche Infrastruktur zu erhalten und zu verbessern, und auf diesem Weg auch private Investitionen und Beschäftigung zu stärken, der breiten Masse der Bevölkerung Zugang zu sozialen Dienstleistungen zu ermöglichen und den dringend notwendigen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Strukturwandel zu unterstützen. Was gäbe es in Zeiten wie diesen wichtigeres, als genau diese Impulse zu setzen?“

Achim Truger lieferte in seiner Preisrede Inputs seiner Expertise: „Konjunkturpakete mit Unterstützungsmaßnahmen und konjunkturellen Entlastungen sind für eine schnelle Überwindung des derzeitigen historischen Wirtschaftseinbruchs unumgänglich. Jetzt den Blick auf die Defizite der Staaten zu werfen, wäre falsch. Für Budgetkonsolidierung ist jetzt nicht die richtige Zeit. Nun geht es um öffentliche Investitionen.“

Neben Achim Truger wurden vier weitere Projekte und damit insgesamt neun weitere Wissenschafter:innen mit dem Kurt-Rothschild-Preis 2020 ausgezeichnet. Der Jury ist es wichtig, auf die breite Vielfalt der eingereichten Beiträge einzugehen und die sehr hohe Qualität dieser Beiträge anzuerkennen. Jakob Kapeller, Vorsitzender der Jury, stellte jeden dieser Preise kurz vor. Die Moderatorin des Abends, Journalistin Martina Bachler, bat die Preisträger:innen um kurze Einblicke in ihre Arbeit.

Ulrich Brand: „Gewerkschaften und sozial-ökologische Transformation. Einsatzpunkte und Herausforderungen“

„Sozialen Ausgleich und ökologische Nachhaltigkeit zu verbinden gilt vielen als der zentrale Zielkonflikt des frühen 21. Jahrhunderts. Und tatsächlich war sozialer Ausgleich und breit verteilter Wohlstand im letzten Jahrhundert stark an die Idee eines permanenten wirtschaftlichen Wachstums gebunden. An dieses Wirtschaftswachstum geknüpft ist aber – mit wenigen Ausnahmen – auch die stetige Ausweitung der Nutzung natürlicher Ressourcen und Reservoirs, die permanente In-Wert-Setzung unseres Planeten. Einer der zentralsten Beiträge von Ulrich Brand ist es, diesen Zielkonflikt und die damit verbundene Notwendigkeit einer umfassenden sozial-ökologischen Transformation unserer modernen Gesellschaften immer wieder von Neuem zu artikulieren, zu überdenken, empirisch zu belegen und darüber hinaus über konstruktive und möglichst synergetische Ansätze zur Lösung dieses Zielkonflikts nachzudenken. Dass Ulrich Brand für dieses Vorhaben auch versucht die Gewerkschaften umfassend mitzudenken ist dabei nicht nur analytisch konsequent, sondern zeigt auch, dass sich Ulrich Brand nicht scheut ökologische Anliegen auch dort zu vertreten, wo es unter Umständen mal weh tut.“, so Jakob Kapeller in seiner Würdigung.

Kurz-Laudatio von Jakob Kapeller, Juryvorsitzender

Carina Altreiter, Jörg Flecker, Ulrike Papouschek, Saskja Schindler und Annika Schönauer: „Umkämpfte Solidaritäten. Spaltungslinien in der Gegenwartsgesellschaft“

„Solidarität als gesellschaftsgestaltende Idee ist in Europa heute auf mehrfacher Ebene unter Druck: Neoliberale Stimmen versuchen nach wie vor, der Solidarität ihren Sinn grundsätzlich abzusprechen – und zwar sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft als Ganzes. Nationalistisch gesinnte Populist:innen versuchen, Sinn und Zweck der Solidarität umzudeuten – weg von einer Solidarität mit den Schwachen und Unterdrückten, hin zu einer Solidarität mit dem „Wir“, wie immer dieses „Wir“ dann auch genau definiert sein mag. Die fiskal- und geldpolitischen Regelwerke der europäischen Union stehen einer Realisierung echter Solidarität unter den Europäischen Nationen in manchen Punkten diametral entgegen. Darüber hinaus wird Solidarität als Idee heute gerne „flexibilisiert“, d.h. immer stärker an Bedingungen geknüpft – und auch wenn Solidarität vielleicht nicht immer bedingungslos sein kann, wenn sie nicht naiv sein will, bedeutet das fortgesetzte Erfinden neuer „Bedingungen“ der Solidarität letztlich nicht mehr als ihre Degeneration zur Erpressung – nötige Hilfe ist dann im Extremfall durch Anpassung und Unterwerfung zu erkaufen. Diesen hochgradig umkämpften Charakter der Solidarität ins Zentrum zu stellen, ist dabei das zentrale Verdienst des hier prämierten Projekts, das eben diese „umkämpfte Solidarität“ ins Zentrum der Analyse stellt.“, so Jakob Kapeller in seiner Würdigung.

Kurz-Laudatio von Jakob Kapeller, Juryvorsitzender, und Talk mit dem Autor:innen-Team

Karin Heitzmann: „Fragestellungen zur (Effektivität und Effizienz von) Sozialpolitik und Möglichkeiten zur Reformierung von Wohlfahrtsstaaten“

„Auch in der Sozialpolitik geht es um die Frage, aus welcher Motivation und unter welchen Bedingungen Menschen unterstützt und sozial abgesichert werden sollen; nicht umsonst wird der Sozialstaat oftmals als institutionalisierte Form der Solidarität gesehen. Betreiben wir also Sozialpolitik aus dem solidarischen Motiv heraus, alle Menschen in eine Position zu versetzen, in der ein menschenwürdiges Dasein möglich ist? Oder verstehen wir Sozialpolitik als Teil der Sphäre der Funktionalität und Effizienz, die vornehmlich auf die Wiedereingliederung in marktliche Prozesse abzielt? Entlang dieser zentrale Konfliktlinie zwischen Dekommodifizierung und Kommodifizierung  haben sich die realpolitischen Koordinaten in den letzten Jahrzehnten stark in Richtung der Kommodifizierung verschoben. In ihren Arbeiten zur Evolution der Sozialpolitik mit denen sie die österreichische und internationale Debatte seit Jahren bereichert begnügt sich Karin Heitzmann nicht damit vergangene Fehlentwicklungen zu benennen und ihre Folgen zu analysieren, sondern sie zeigt stets auch potentielle alternative Handlungsweisen und Strategien auf.“, so Jakob Kapeller in seiner Würdigung.

Kurz-Laudatio von Jakob Kapeller, Juryvorsitzender, und Talk mit Karin Heitzmann

Konstantin M. Wacker und Katharina van Treeck: „Verteilungsaspekte von multinationalen Konzernen und ausländischen Direktinvestitionen“

„Studiert man ökonomische Lehrbücher, dann scheinen diese Werke kaum eine wirtschaftspolitische Frage so klar zu beantworten, wie jene nach den Vorzügen des Freihandels. Der analytische Fokus liegt auf dem berühmten „Ricardo-Modell“ der komparativen Kostenvorteile, das dem freien Warenverkehr unbestreitbare Vorzüge unterstellt, die letztlich zu einer Attitüde führen, die Kurt W. Rothschild gerne als den „erhobenen Zeigefinger der Nationalökonomen“ bezeichnete. Durch diesen Fokus entsteht der unglückliche Umstand, dass vielen Ökonom:innen entgeht, dass die zentralen Annahmen des Ricardo-Modells im 21. Jahrhundert nicht erfüllt sind. Wir haben es daher heute nicht mit einem Freihandel nach Ricardo zu tun, sondern mit einem ausgewachsenen Standortwettbewerb, in dem Nationalstaaten untereinander im Wettbewerb stehen, um multinationalen Unternehmen besonders attraktive Investitions- und Anlagebedingungen zu bieten. Empirisch sind die Auswüchse dieses Standortwettbewerbs besonders im Bereich der Besteuerung klar sichtbar und es ist das Verdienst der Preisträger:innen, diesen Effekt auch für den österreichischen Zusammenhang konkretisiert und detailliert herausgearbeitet zu haben.“, so Jakob Kapeller in seiner Würdigung.

Kurz-Laudatio von Jakob Kapeller, Juryvorsitzender, und Talk mit Konstantin Wacker