Kurt-Rothschild-Preis 2023: Für eine krisenfeste Wirtschaft
Unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft befindet sich im Umbruch – und diesen Umbruch müssen wir aktiv gestalten, um mit Krisen umgehen zu können. Das war der Tenor der diesjährigen Kurt-Rothschild-Preisverleihung, bei der acht exzellente Wissenschafter:innen ausgezeichnet wurden.
Seit 2016 verleihen das Karl-Renner-Institut und der SPÖ-Parlamentsklub den Kurt-Rothschild-Preis für Wirtschaftspublizistik. Ort der Preisverleihung war diesmal die Außenstelle des Parlaments am Stubenring. Dieses prunkvolle Gebäude war früher Sitz der Wiener Handelskammer und wird als „Geburtsort des organisierten Neoliberalismus“ bezeichnet, von dem aus Ludwig van Mises und Friedrich Hayek die ideologischen Pfeiler des Neoliberalismus entwickelten und verbreiteten. Nun wirkt dort das Parlament und bietet den Rahmen für die Verleihung des Kurt-Rothschild-Preises – und damit für die Würdigung von Forscher:innen, die ökonomische Fragestellungen in einen breiten Kontext stellen, statt neoliberale Glaubenssätze zu reproduzieren.
Die Preisträger:innen gehen dabei weit über ihre rein akademischen Aufgaben hinaus, sie bringen sich auch in die wirtschaftspolitische Debatte ein. Die besondere Bedeutung dieser – nicht nur akademischen, sondern auch volksbildnerischen – Aufgabe betonte Christoph Matznetter, Nationalratsabgeordneter und SPÖ-Wirtschaftssprecher, der die Veranstaltung eröffnete und den Preisträger:innen für ihre wertvollen Beiträge dankte. Peter Mooslechner, Mitglied der Preis-Jury und im Vorstand der Nationalökonomischen Gesellschaft, verwies auf die große Menge an qualitativ hochwertigen Einreichungen für den Preis. Diese zeigen, dass immer mehr und jüngere Wissenschafter:innen sich an zwei zentralen Thesen von Kurt Rothschilds wissenschaftlichem Zugang orientieren, nämlich: Es ist besser, eine wichtige Frage zu stellen, als eine unwichtige zu beantworten. Und es ist besser, eine Frage ungefähr richtig, als präzise falsch zu beantworten.
Isabella Weber und Sebastian Dullien: Progressive Wirtschaftspolitik in Zeiten der Vielfachkrise
Der Hauptpreis 2023 ging an Isabella Weber (University of Massachusetts Amherst) und Sebastian Dullien (IMK, Hans-Böckler-Stiftung) für ihren Vorschlag, mit einem Gaspreisdeckel Inflation zu dämpfen und soziale Folgen des Energiepreisschocks abzufedern. In ihrer eindrucksvollen Preisrede blickten sie auf die Debatte zu Eingriffen in Energiepreise und zogen daraus Lehren für eine progressive Wirtschaftspolitik in Zeiten der Vielfachkrise.
Erstens braucht es eine Art „wirtschaftspolitischen Katastrophenschutz“. Im Fall von Preisschocks – wie etwa dem exorbitanten Anstieg der Gaspreise – ist es effektiver, Preisanstiege zu beschränken statt sie durch Ausgleichszahlungen zu kompensieren. Zweitens: Gelingt es nicht, Preisanstiege einzudämmen, dann fühlen sich Menschen unter Druck gesetzt, vor allem wenn es um Güter des täglichen Bedarfs geht. Das ist nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem, sondern auch demokratiegefährdend, denn es stärkt den Zuspruch zu rechtpopulistischen Parteien. Daher, so die dritte Lehre aus der Debatte, sind einfach nachvollziehbare wirtschaftspolitische Maßnahmen – wie der Gaspreisdeckel – oft besser als komplexe, schwer verständliche Entlastungspakete: Sie entlasten die Bevölkerung nicht nur finanziell, sondern die Entlastung wird von den Menschen auch viel stärker wahrgenommen.
Und schließlich: In der Politikberatung darf man sich nicht von Gegenwind abhalten lassen. Vor allem Isabella Weber wurde scharf kritisiert für ihren Vorschlag, in Preise einzugreifen. Sie nahm das aber gemeinsam mit Sebastian Dullien als Ansporn, konkrete Politikvorschläge zu entwickeln – die schließlich auch in Deutschland und anderen Ländern umgesetzt wurden.
Andi Babler: Markteingriffe für die Vielen statt ideologische Scheuklappen
In seiner Laudatio auf die beiden Hauptpreisträger:innen betonte der SPÖ-Bundesparteivorsitzende Andi Babler, dass es die vielzitierte „unsichtbare Hand“ des Marktes tatsächlich gibt: "Aber diese unsichtbare Hand, die regelt nicht den Markt. Diese unsichtbare Hand, die packt kräftig zu; sie schaufelt Kriegs- und Krisengewinne aus den Taschen der Menschen und der kleinen Betriebe zu den großen Konzernen."
Er würdigte die Arbeiten der Hauptpreisträger:innen, die Instrumente dafür entwickelt haben, wie die Politik die Konsument:innen und kleinen Unternehmen vor dieser unsichtbaren Hand schützen kann. Dass die österreichische Bundesregierung solche Instrumente wie die Gaspreisbremse noch nicht umgesetzt hat – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern –, und Österreich die höchste Inflation in Westeuropa aufweist, ist eine ideologische Entscheidung: Eine Entscheidung gegen Markteingriffe, zumindest wenn sie den Vielen dienen statt die Profite einiger Weniger zu steigern.
Andi Babler erinnerte daran, dass die Sozialdemokratie immer dann am stärksten war, wenn sie Intellektuelle und Arbeiter:innen an einen Tisch gebracht und zu Verbündeten gemacht hat. Die Preisträger:innen des Kurt-Rothschild-Preises sind Vorbilder für den Austausch zwischen Wissenschaft und Politik, für die gegenseitige Inspiration und Begegnung auf Augenhöhe.
Emma Dowling: Öffentliche Infrastrukturen für gute Pflege
Care im Kontext der Daseinsvorsorge gehört weltweit zu den zentralen Problemstellungen unserer Gesellschaften – und es braucht dringend ein besseres Verständnis der grundlegenden Probleme als Basis für zielgerichtete und effektive politische Maßnahmen. So ein umfassendes Verständnis bieten die Arbeiten von Emma Dowling (Universität Wien). Dabei behandelt sie nicht nur die unterschiedlichen Aspekte dieser Problematik, die tieferen Ursachen und wesentlichen Entwicklungen, sondern diskutiert und bewertet auch Lösungsvorschläge. Zentral dabei ist mehr öffentliche Infrastruktur im Care-Bereich. Den Staat sieht sie in der Verantwortung dafür, gute Bedingungen für Sorgearbeit zu schaffen, sowohl im professionellen Bereich als auch im privaten: "Vieles an Sorgetätigkeiten passiert im Haushalt, in Familien, in persönlichen Beziehungen. Auch hier hat der Staat eine Rolle, die Bedingungen dafür zu schaffen: Durch Arbeitszeitverkürzung, durch soziale Sicherheit statt Prekarisierung, durch ausgleichende Maßnahmen wenn bestimmte gesellschaftliche Gruppen überbeansprucht werden."
Als Wissenschafterin sieht sie sich auch selbst in der Verantwortung, sich mit drängenden gesellschaftlichen Problemen auseinanderzusetzen. Gerade das Thema Sorgearbeit wird oft unsichtbar gemacht; die Wissenschaft kann hier gegensteuern und den Betroffenen Sichtbarkeit verleihen. Sie betont, dass Solidarität hier nicht nur möglich, sondern auch wichtig ist und nicht im Widerspruch steht zu wissenschaftlicher Integrität: Es stärkt den analytischen Blick, wenn man zeigt, wie Machtverhältnisse funktionieren und wirken – auch in der Wissenschaft.
Felix Dorn: Energiewende für Dezentralisierung und Demokratisierung nutzen
Die Klimakrise erfordert eine rasche Dekarbonisierung und Energiewende, wodurch Rohstoffe wie Lithium massiv an Bedeutung gewinnen. Die Untersuchungen von Felix Malte Dorn (Universität Wien) zeigen eindrucksvoll, mit welchen fundamentalen Ambivalenzen das verbunden ist. Denn an den Orten des Lithiumabbaus werden neue gesellschaftspolitische Herausforderungen und soziale Ungleichheiten geschaffen, eingebettet in globale Machtverhältnisse zwischen Nord und Süd: "Lithium ist ein sehr spannender Rohstoff weil er einerseits mit sehr nachhaltigen Narrativen aufgeladen ist, andererseits aber der Lithium-Bergbau zerstörerische Ausbeutungsverhältnisse fortsetzt. Man kann hier gewissermaßen von kolonialen Kontinuitäten sprechen."
Der Ansatz, mit einer Green Economy die Klimaerhitzung zu reduzieren, ist in erster Linie eine Krisenbewältigungsstrategie, aber wie Felix Dorn zeigt, ist es auch eine Akkumulationsstrategie, gerade für große Unternehmen. Denn die dabei neu entstehenden Märkte wie etwa der Lithium-Bergbau, oder auch Wasserstoff, sind in den Händen weniger Wirtschaftsakteur:innen konzentriert. Die Energiewende bietet aber auch sensationelle Möglichkeiten für eine Dezentralisierung und Demokratisierung unserer Energieversorgung. Um diese zu nutzen, ist es nötig, die richtigen Fragen zu stellen: Wer kontrolliert die Energiewende, wer profitiert davon?
Franklin Obeng-Odoom: internationaler Blick auf die soziale Ökonomie
In seinen Arbeiten analysiert Franklin Obeng-Odoom (University of Helsinki) nicht nur in eindrucksvoller Weise das ökonomische und gesellschaftspolitische Zusammenspiel von Institutionen, Unsicherheit und Oligopolen, sondern entwickelt daraus eine umfassende Kritik unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems und seiner prägenden Elemente. Zentral sind dabei bei ihm die Situation in Afrika und die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden. Seine Arbeiten und Analysen gehen aber weit darüber hinaus und behandeln eine ganze Breite wichtiger Themen, von der Außenhandelstheorie über originäre Unsicherheit bis hin zu methodologischen Fragen in der Ökonomie. Dabei verfolgt er immer eine internationale Perspektive: "Wenn die Herausforderung, die Mechanismen und die Spaltungen global sind, verfehlt methodologischer Nationalismus den Kern der Sache. Eine globale Perspektive ist ganzheitlicher und reichhaltiger."
Wie auch die anderen Preisträger:innen, wendet er sich dabei nicht nur an seine Wissenschaftskolleg:innen, sondern auch an die breite Öffentlichkeit. Das macht er durchaus aus Eigeninteresse, denn sein Anliegen, zum öffentlichen politischen Diskurs beizutragen stärkt auch seinen wissenschaftlichen Blick und hilft, die Tradition von sozialer Ökonomie weiterzuentwickeln.
Gouzoulis, Iliopoulos & Galanis: Finanzsystem für die Vielen umbauen
Wie sich wesentliche gesamtwirtschaftliche Veränderungen auf den Arbeitsmarkt und insbesondere auf die Stellung von Arbeitnehmer:innen ausgewirkt haben, zeigen die Studien von Giorgos Gouzoulis, Panagiotis Iliopoulos und Giorgos Galanis (Queen Mary University of London und KU Leuven) am Beispiel von Finanzialisierung, also der finanziellen Durchdringung moderner Gesellschaften. Die Forscher zeigen, dass die Verbreitung prekärer Arbeitsverhältnisse, der Rückgang der Streikaktivität, das Sinken der Lohnquote, und nicht zuletzt die wachsenden Herausforderungen für die Gewerkschaften extrem stark mit der steigenden Bedeutung finanzieller Faktoren zusammenhängen. Das Finanzsystem hat eigentlich ein großes Umverteilungspotenzial – das aktuell aber für einen spezifischen Zweck genutzt wird, nämlich Profitmaximierung. Es könnte aber auch anders genutzt werden, nämlich für Sozial- und Umweltpolitik. Zentral in diesen Auseinandersetzungen sind auch Gewerkschaften und andere Institutionen, die auf der Seite jener stehen, die wenig gesellschaftliche Macht haben.
Prägend waren für die Forscher auch ihre eigenen Erfahrungen in Griechenland während der Finanzkrise 2008: „Zu sehen, wie die Menschen um uns plötzlich riesige Schuldenberge ansammeln mussten, ihre Pensionsersparnisse verloren haben – das hat uns motiviert, an diesem Thema zu arbeiten, die Perspektiven unterschiedlicher Forschungsfelder zusammenzuführen, um zu verstehen was da passiert.“