„Neue Wertorientierungen verlangten nach neuen Ansätzen in der Bildungsarbeit“
Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums sprach Maria Maltschnig, die das Institut seit 2016 leitet, mit Barbara Rosenberg, die von 2006 bis 2016 die Stellvertreterin von Karl A. Duffek (Direktor des RI von 1999 bis 2016) war.
Erinnerst du dich an deinen Einstieg in das Renner-Institut?
Gleich nachdem ich 1986 mein postgraduate Studium der Politikwissenschaft am Institut für Höhere Studien abschlossen hatte, habe ich mich im Renner-Institut beworben. Die Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin war für mich vor allem deswegen eine Freude, weil ich schon aus früheren Erfahrungen mitbekommen hatte, dass sich dort wissenschaftliche Ansprüche und politisches Engagement verbinden lassen.
Wie war damals die innenpolitische Lage?
Das Jahr 1986 war von innenpolitischen Umbrüchen geprägt. Der Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten ging eine breite öffentliche Debatte über seine Aktivitäten während der Zeit des Nationalsozialismus voraus. Bundeskanzler Fred Sinowatz trat zurück und schlug Franz Vranitzky als seinen Nachfolger vor. Nachdem die FPÖ im Rahmen einer Kampfabstimmung von Jörg Haider übernommen worden war, löste Franz Vranitzky die Koalition mit der FPÖ auf und setzte Neuwahlen an. Markant waren dann nicht nur die starken Zugewinne für die FPÖ, sondern auch der erstmalige Einzug einer Grünen Partei in den Österreichischen Nationalrat. Die Einigung der SPÖ mit der ÖVP auf eine große Koalition prägte die Entwicklungen der folgenden Jahre.
Was waren damals die besonderen Herausforderungen für das RI?
Im Team des Renner-Instituts wurden rasch Schlussfolgerungen aus der neuen innenpolitischen Situation gezogen. Gerne erinnere ich mich an die lebhaften Diskussionen, wie wir uns auf die neuen Themenlagen und die gesellschaftlichen Umbrüche einzustellen haben.
Der rasante Aufstieg des Rechtspopulismus, gesellschaftliche Individualisierungsprozesse und neue Wertorientierungen verlangten nach neuen Ansätzen, auch in der politischen Bildungsarbeit. Mich persönlich haben zu diesem Zeitpunkt die damals in der SPÖ noch nachrangig behandelten ökologischen Themen in den Bann gezogen.
Sehr gerne habe ich daher die Aufgabe übernommen, Skripten und Fachtagungen zu umweltpolitischen Fragen zu entwickeln.
Welche RI-Meilensteine und Projekte waren für dich von besonderer Bedeutung?
Meilensteine für die Arbeit des gesamten RI-Teams waren natürlich die Zukunftsdebatten, in denen sich das Institut als Verbindungsglied zwischen Wissenschaft und Politik bewähren konnte. Zunächst das von Franz Vranitzky initiierte Projekt „Themen der Zeit“, dann das von Alfred Gusenbauer getragene „Netzwerk Innovation“, das in der Oppositionsphase der SPÖ 2000 bis 2007 zukunftsfähige Politikprojekte entwickelt hat, und schließlich die von Werner Faymann initiierte Debatte „Österreich 2020“.
Im Ausbildungsbereich waren uns Projekte, die nachhaltige Strukturen geschaffen haben, besonders wichtig. Im Bereich der im RI immer sehr intensiven frauenpolitischen Arbeit ist in Zusammenarbeit mit Barbara Prammer die Frauenakademie entwickelt worden, die heuer schon ihr 20jähriges Jubiläum feiern konnte.
Und auch die Gründung der allen Jugendorganisationen zugänglichen Jugendakademie und der Europapolitischen Akademie fallen in diese Phase. Mit Blick auf meine persönlichen Arbeitsschwerpunkte kann ich sagen, dass die jährliche Umsetzung des Bruno-Kreisky-Preises für politische Bücher immer wieder Highlights beinhaltet hat. Und von spezieller Bedeutung war aus meiner Sicht auch die intensive Zusammenarbeit mit der sozialdemokratischen Bildungsorganisation unter dem Vorsitz von Michael Ludwig von 2010 bis 2019. Sie hat es möglich gemacht, die Themenvielfalt und die Breitenwirksamkeit vieler bildungspolitischer Projekte zu steigern.
Was kann parteipolitische Bildungsarbeit leisten, welchen Platz hat sie aus deiner Sicht in der politischen Bildungslandschaft?
Die Aufgabenstellungen, die Bruno Kreisky, auf dessen Initiative die Gründung der politischen Akademien der Parteien ja zurückgeht, formuliert hat, sind heute aktueller denn je. Sowohl mit Blick auf die programmatische Arbeit als auch auf die Aus- und Weiterbildung gibt es in allen Parteien viel zu tun. Und in diesem Sinne sehe ich die Parteiakademien als einen wichtigen, die politische Bildung im schulischen, außer-schulischen und erwachsenenbildnerischen Feld ergänzenden Baustein.
Du hast lange sehr eng mit Karl A. Duffek zusammengearbeitet, warst seine Stellvertreterin und hast dann auch, nachdem er verstorben ist, für einige Monate das RI geleitet. Was bleibt dir besonders an Karl in Erinnerung?
Als Karl A. Duffek 1999 zum Direktor des Karl-Renner-Instituts bestellt wurde, konnte ich ja schon auf eine lange, gute Zusammenarbeit mit ihm zurückschauen. Entsprechend gefreut habe ich mich daher, von ihm die Verantwortung für den Bereich „Innenpolitik, Aus- und Weiterbildung“ übertragen zu bekommen. Die folgenden Jahre waren von ganz neuen politischen Herausforderungen geprägt. Die SPÖ musste den Gang in die Opposition antreten, die Arbeit des Instituts war – bei massiv sinkenden Fördermitteln – auf die Notwendigkeiten einer Oppositionspartei umzustellen. Gerade in dieser Phase waren die Führungsstärke und Innovationskraft von Karl gefragt. Mit der Rückkehr der SPÖ in die Bundesregierung 2007 hat er, die Herausforderungen der Zeit erkennend, den Fokus stark auf die Europäisierung der Bildungsarbeit gelegt. Einen Meilenstein seiner internationalen Arbeit stellte die Gründung der „Foundation for European Progressive Studies“, des Think-Tanks der europäischen Sozialdemokratie, im Jahr 2008 dar.
Für mich persönlich war in all den Jahren der Zusammenarbeit beeindruckend und motivierend, dass er es wie nur ganz wenige verstanden hat, intellektuelle Redlichkeit und politischen Pragmatismus zu verbinden – und sich über die wechselhaften Zeiten auch seinen Humor zu bewahren.
Was wünscht du dir für das Karl-Renner-Institut in Zukunft?
Allen, die sich auf der Basis der Werte der Sozialdemokratie engagieren, wünsche ich, dass sie weiterhin durch ein debattenfreudiges, impulsgebendes und europäisch orientiertes Renner-Institut unterstützt werden. Und dem Team des Instituts wünsche ich ein gutes Gleichgewicht an herausfordernden Aufgaben und kreativen Freiräumen, damit es seine Arbeit wirkungsvoll tun kann!