Putins Russland: Instabile Stabilität?
Präsidentschaftswahlen sollen Stabilität vermitteln
Bei den russischen Präsidentschaftswahlen Mitte März wurde Amtsinhaber Wladimir Putin mit 88,5 % klar bestätigt. Es gab allerdings auch keine ernstzunehmenden Gegenkandidat:innen, da das Regime mit Jekaterina Dunzowa und Boris Nadeschdin zwei potenzielle „Störenfriede“ nicht zugelassen hatte. Überhaupt waren die Wahlen weder frei noch fair, sondern manipuliert. Jedoch konnten sie – zumindest oberflächlich – das gewünschte Bild eines stabilen Landes mit einem unbestrittenen Führer vermitteln, auch in Zeiten des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine. Dennoch stellt sich die Frage, wie groß der Zusammenhalt der russischen Gesellschaft tatsächlich ist und inwieweit die Eliten hinter Putin stehen. Ist Putins System tatsächlich so stabil, wie es den Anschein hat bzw. er den Anschein erwecken will? Wie ist es um die russische Wirtschaft bestellt?
Um diese Fragen eingehend zu diskutieren, hatten wir am 23. April eine der kompetentesten Osteuropa-Expertinnen, nämlich Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, sowie den Buchautor Felix Jaitner bei uns zu Gast.
Mögliche Quellen für Instabilität
Margarete Klein ging in ihrem Impulsreferat auf vier Faktoren ein, die potenziell Quellen für Instabilität sein könnten: die Opposition, die Gesellschaft, ethnische Konflikte und die Eliten.
Die Opposition erlebt, wie Klein erinnerte, systematische Repression. Alexei Nawalny fand bekanntlich in Haft den Tod, und seine Organisation, die als einzige im ganzen Land Strukturen hatte, sei, so Klein, als terroristische Vereinigung eingestuft worden. Dass der Aufruf des Oppositionellen Boris Nadeschdin, als Zeichen des Protests am Wahlsonntag um 12 Uhr zu den Wahllokalen zu gehen, gewissen Erfolg hatte, sei von großem Wert gewesen. Dennoch sei eine Zusammenarbeit der Opposition unmöglich.
Hinsichtlich der Einstellung der Gesellschaft zum System Putin gibt es laut Klein keine gesicherten Zahlen mehr. Das Ausmaß der Repression sei hoch, auch gebe es mittlerweile so gut wie keine freien Medien. Exilmedien könnten bis zu einem gewissen Grad ins Land hineinwirken. Beachtenswert ist für Klein die Bewegung „Weg nach Hause“ von Frauen, die Angehörige von Soldaten sind. Mit kleinen Aktionen würden sie ihre Unzufriedenheit kundtun, aber auf Unterdrückungsmaßnahmen stoßen.
Instabilität aufgrund von ethnischen Konflikten sieht Klein vorerst kaum. Viele nichtrussische Völker lebten nicht an der Peripherie des Landes, sondern in seiner Mitte. Konflikte könnten sich am ehesten im Nordkaukasus entwickeln, beispielsweise in Tschetschenien, wo derzeit Roman Kadyrow wie ein Lehensmann Putins herrsche. Sollte dieses System kippen, könnten sich neue Konfliktlinien ergeben.
Innerhalb der Eliten hätten in den letzten Jahren die Silowiki, also die Vertreter:innen der Geheimdienste und des Militärs, an Gewicht gewonnen. Das bringt aus der Sicht von Klein eine Verengung der Entscheidungsprozesse mit sich. Putin setze vor allem auf Loyalität und Vertrauensbeziehungen. Innerhalb der Eliten gebe es Konflikte, aber selten oberflächlich.
Vorerst stabiler Kriegskeynesianismus
Felix Jaitner befasste sich vor allem mit der Frage der wirtschaftlichen Stabilität des Landes und zeichnete ein gemischtes Bild. Richtschnur für die wirtschaftliche Entwicklung seien die westlichen Sanktionen bzw. die Reaktionen Russlands darauf. Jaitner sieht derzeit keine Kriegswirtschaft, sondern Kriegskeynesianismus, also eine staatlich getriebene Nachfrage nach Rüstungsgütern bzw. Gütern, die für die Rüstungsproduktion nötig sind. Auch wenn die Daten nicht zuverlässig seien, dürften Russlands Wirtschaft – hier vor allem die Industrieproduktion – sowie die Löhne in einem beachtenswerten Ausmaß wachsen. Die westlichen Sanktionen hätten also einen Entwicklungsschub der russischen Industrie bewirkt. Zugleich ist laut Jaitner die Inflation hoch und frisst die Lohnzuwächse auf, der Fachkräftemangel bremst die wirtschaftliche Entwicklung, und die sozialen und regionalen Ungleichheiten wachsen weiter.
Kipppunkte für das System Putin?
Die Frage, wie stabil das System Putin längerfristig sei, wird laut Margarete Klein auch und vor allem vom weiteren Verlauf des Kriegs gegen die Ukraine abhängen. Außenpolitische Erfolge hätten in der Vergangenheit häufig (oder regelmäßig) einen Push für Putins Popularität bedeutet. Sollte eine Teil- oder Vollmobilmachung für den Krieg erfolgen, würde dies ein entscheidender Moment sein.
Für Felix Jaitner sind die möglichen Kipppunkte für das System Putin die zunehmend prekäre soziale Lage, die wachsenden Ungleichheiten sowie die Klimakrise, die Russland massiv treffen werde.
Margarete Klein zitierte abschließend Autoritarismus-Forscherin Andrea Kendall-Taylor mit „Autoritäre Systeme sind so lange stabil, wie sie stabil sind.“ Klein ergänzte, dass unvorhersehbare Ereignisse immer wieder unerwartete Entwicklungen in Gang setzen könnten.
Impulsreferat
Margarete Klein
Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin
Diskussion mit
Felix Jaitner
Russland-Experte, Autor des Buchs „Russland: Ende einer Weltmacht“
Moderation
Gerhard Marchl
Karl-Renner-Institut, Europäische Politik