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Schicksalswahlen in der Türkei

Am Sonntag, den 14. Mai 2023 finden in der Türkei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. 100 Jahre nach der Gründung der Republik steht das Land vor großen Herausforderungen: Große Teile des Südostens sind durch das verheerende Erdbeben Anfang Februar dieses Jahres zerstört oder beschädigt. Das Krisenmanagement steht stark in der Kritik und sieht sich dem Vorwurf selektiver Hilfe ausgesetzt. Zudem leiden weite Teile der Bevölkerung unter einer Inflation von über 100 Prozent.

Drei wichtige Punkte im Überblick

Erstens, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan steht vor der wohl größten Herausforderung seiner politischen Karriere. Dafür sind laut Hürcan Aslı Aksoy folgende Gründe ausschlaggebend:

- Zum einen ist die türkische Wirtschaft stark geschwächt. Die Inflation liegt weit über 100% und die Jugendarbeitslosigkeit bei ca. 25%. Hinzu kommt eine starke Abwertung der Landeswährung, der türkischen Lira.
- Auf der anderen Seite ist die Opposition stärker geworden. Ein Großteil der Oppositionsparteien hat sich zu einem Sechs-Parteien-Bündnis zusammengeschlossen. Ihr gemeinsamer Kandidat ist Kemal Kilicdaroglu. Sie nennen sich „Bündnis der Nation".
- Kritik gab es auch am Krisenmanagement nach dem verheerenden Erdbeben. Die mangelnde Erdbebensicherheit vieler Gebäude und die als zu langsam und unzureichend empfundene Nothilfe führten zu Unmut in der Bevölkerung. Hinzu kamen Korruptionsvorwürfe.

Zweitens, die Wahlen sind frei, aber nicht fair.

Trotz der Möglichkeit, zwischen verschiedenen Parteien zu wählen, sind die Wahlen in der Türkei alles andere als fair. Die Repression gegen Oppositionelle hat seit dem Putschversuch 2016 zugenommen. Die pro-kurdische Partei HDP und die kurdische Zivilgesellschaft werden systematisch kriminalisiert. Die Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt, Demonstrationen werden häufig verhindert und die Medien werden weitgehend von der Regierung kontrolliert. Die Einführung des Präsidialsystems unter Erdogan hat die Gewaltenteilung ausgehebelt und die Justiz wird politisch instrumentalisiert.

Drittens, die außenpolitische Orientierung der Türkei wird sich nach den Wahlen nicht wesentlich ändern.

Bei einem Wahlsieg Erdogans ist mit politischer Kontinuität zu rechnen. Im Falle eines Wahlsieges der Opposition könnten die außenpolitischen Prioritäten ähnlich bleiben, allerdings mit einem weniger aggressiven und antiwestlichen Ton. Dialog und Diplomatie würden im Vordergrund stehen. Die Türkei als zweitgrößte NATO-Armee und wichtiger Partner Europas würde die Beziehungen zur NATO normalisieren und um das Vertrauen westlicher Investoren werben. Herausforderungen wie die Zypernfrage und die Beziehungen zu Russland blieben ebenso bestehen wie das Ziel, syrische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückzuführen und ein kurdisches Staatsgebilde in Nordsyrien zu verhindern. 

Impulsreferat

Hürcan Aslı Aksoy
Stellvertretende Leiterin des Centrums für angewandte Türkeistudien (CATS), SWP Berlin

Gespräch mit 

Cengiz Günay
Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip)

Moderation

Sebastian Schublach
Karl-Renner-Institut