Umbau der Autoindustrie: Arbeitsplätze vs. Umwelt?
Aus der Automobilindustrie kommt ein großer Teil der Treibhausgase in Österreich, gleichzeitig sorgt sie aber für viele Arbeitsplätze. Müssen diese Arbeitsplätze geopfert werden, um wirksame Klimapolitik zu betreiben? Wie sollen sich hier Gewerkschaften positionieren? Über mögliche Auswege aus diesem Dilemma, über Wachstumsfragen und gewerkschaftlichen Kampfgeist unterhalten sich in diesem Gespräch Ulrich Brand (Universität Wien) und Rainer Wimmer (PRO-GE).
„Angst ist die große Transformationsblockade auf der subjektiven Ebene, weil Angst lähmt.“
Im Forschungsprojekt ConLabour habt ihr die Rolle von Gewerkschaften und Beschäftigten im Umbau der österreichischen Automobilindustrie untersucht. Ausgangspunkt war ein Dilemma, kannst du das kurz umreißen?
Brand: Es gibt seit 15 Jahren eine industriesoziologische und umweltpolitische Diskussion unter dem Label „Jobs versus Environment Dilemma“, also Arbeitsplätze versus Umwelt. Wir haben bei der Automobilindustrie einerseits eine ökologische Problematik: Ein Drittel der CO2-Emissionen in Österreich kommt aus dem Transportsektor, sehr stark aus dem Automobilsektor und dem LKW-Sektor; gleichzeitig gibt es das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 und das Paris-Abkommen. Das ist die ökologische Seite. Und andererseits haben wir die arbeitsmarktpolitische und damit soziale Seite, dass nämlich hier in Österreich fast 80.000 Menschen in der Auto-Zulieferindustrie arbeiten, ungefähr 10% der Arbeitsplätze, 8% der industriellen Wertschöpfung. Der Automobilsektor bringt also eine massive Umweltbelastung, aber auch Arbeitsplätze und Wertschöpfung.
Wimmer: Wir haben bei uns in der Gewerkschaft PRO-GE eine eigene Arbeitsgruppe, wo wir uns intensiv mit dieser Frage beschäftigen. Da habe ich natürlich genau die Leute drin sitzen, die das betrifft: die Betriebsräte aus der Autoindustrie und auch aus der Schwerindustrie, im Wesentlichen ist das die VOEST, und einige Chemie- und Papierfabriken. Wenn man das Thema dort bespricht, merkt man ein bisschen eine Zurückhaltung. Es ist nämlich schon allen klar, dass es da eine große Veränderung braucht. Unklar ist aber, wo das hinführt und welche Konsequenzen das für die Arbeitsplätze mit sich bringt, vor allem in der Auto- und Zuliefererindustrie. Alles auf Elektromotor umzustellen, wird als problematisch empfunden, weil dafür brauchen wir ich-weiß-nicht-wie-viele Kraftwerke, diese Infrastruktur haben wir nicht. Das heißt, die Menschen sind total verunsichert. Und am Ende der Diskussion steht für die Beschäftigten immer die Frage: Habe ich ein ordentliches Einkommen, von dem ich leben kann, und ist das in 5 oder 10 Jahren auch noch so?
Brand: Ich finde den Aspekt von Angst ganz wichtig. Das ist die große Transformationsblockade auf der subjektiven Ebene, weil Angst lähmt. Die einzelnen Menschen brauchen Planungssicherheit, und die Firmen ja auch.
Wie soll man mit dieser Verunsicherung umgehen?
Brand: Ein wichtiges Thema ist genau der Umstieg vom Verbrenner zur E-Mobilität. Ein einfacher Umstieg auf E-Autos bringt neue Probleme mit sich: Wo kommt der Strom her, wo kommt das Lithium für die Batterie her? Und es lässt manche Probleme auch ganz ungelöst: Wo kommen die Metalle für die Karosserie her, wie sieht es aus mit dem Platz in den Städten? Die eigentliche Frage ist daher: Was wäre ein sinnvoller Umstieg? Herr Wimmer, das wissen Sie besser: In Österreich liegen ungefähr 50% der Arbeitsplätze in der Produktion von Öffis und 50% von Autos und LKWs. Das könnte man verschieben, indem die Politik, zum Beispiel rund um das MAN Werk in Steyr, sagt: Wir fördern Konversionsprozesse und verlangen von potenziellen Investoren wirtschaftlich, sozial und ökologisch wirklich tragfähige, durchgreifende Zukunftskonzepte. Das würde eine umfassende betriebliche Konversion bedeuten. Dann würden dort vielleicht Züge, Straßenbahnen oder Busse hergestellt, gegebenenfalls auch mittlere E-LKWs. Das wäre eine große Initiative, ein Leuchtturmprojekt! Wenn so eine Entscheidung getroffen würde, das wäre in ganz Europa ein Kracher!
Wimmer: Solche Ideen finde ich sensationell, das wäre schon ein ganz ein tolles Signal, das man da setzen könnte. Nur: Dafür muss die Politik die Rahmenbedingungen beitragen, und hier wird’s schwierig. Weil wir gerade von MAN gesprochen haben: Wenn wir da Versammlungen haben, wenn wir demonstrieren oder wenn wir Gespräche führen: Die regionalen Politiker sind immer da. Aber die haben den Hebel für die großen Weichenstellungen nicht in der Hand. Dafür bräuchte es eine Grundsatzentscheidung und die entsprechenden Mittel vom Bund. Die, die wirklich den Hebel haben, die Bundespolitik, von denen hört man nichts.
Brand: Zur Umweltpolitik der Bundesregierung muss man ja sagen: Es ist nicht die Regierung, sondern es sind die grünen Teile, die es ernst nehmen mit Klimapolitik und Umweltpolitik. Ich glaube, Umweltministerin Gewessler hat das Problem einigermaßen erkannt, vor allem im Verkehrsbereich. Aber sie bleibt in einem Korridor, wir nennen das in der Wissenschaft „ökologische Modernisierung“. Also sie sagt: „Wir wollen die Öffis ausbauen.“ Aber das müsste ja einhergehen mit einem koordinierten Rückbau der fossilen Verbrenner. Und das sagt sie nicht. Die Industriepolitik der Bundesregierung bleibt sehr stark auch Innovationspolitik, die wettbewerbsgetrieben ist, die wachstumsgetrieben ist, und die viel zu wenig diesen kontrollierten Rückbau im Blick hat.
„Warum nicht die AUA in die ÖBB auflösen? Da bietet sich ja eine offensichtliche Lösung an.“
Was könnte hier die Rolle der Gewerkschaften sein?
Wimmer: Was klar ist: Ohne die betroffenen Menschen ist das Problem nicht lösbar. Wir brauchen hier einen offenen Diskurs – da gehören die Unternehmen an den Tisch, die Gewerkschaften, die Politik. Wir brauchen Visionen für die Beschäftigten: Die brauchen ein Szenario, um nicht um ihre Existenz fürchten zu müssen.
Brand: Ja, das muss jedenfalls gemeinsam mit den Beschäftigten passieren, und auch gemeinsam mit dem lokalen Management. Und nachdem die Politik hier ja gerade kräftig Geld in die Hand nehmen will, Stichwort Klimabudget, Ausbau der ÖBB: Da braucht es auch Initiativen von unten. Hier könnte man sagen, Siemens, oder wer auch immer: „Wir leiten ganz schnell einen Prozess ein, dass die 2.200 Menschen in Steyr eine Arbeitsplatzgarantie haben und dass Steyr zum neuen Leitwerk von Zugbau wird.“ Oder, noch ein Vorschlag: Warum nicht die AUA in die ÖBB auflösen? Die AUA sagt jetzt: „Wenn wir Krise haben, dann müssen wir ein paar tausend Leute entlassen.“ Die ÖBB hat vor Corona gesagt: „Wir brauchen mittelfristig 10.000 neue Leute.“ Da bietet sich ja eine offensichtliche Lösung an. Das braucht es: Mut, und dabei die Leute nicht alleine lassen, den Leuten Sicherheit geben.
Wimmer: Ja. Es ist ganz wichtig, dass wir uns vor der Zukunft nicht fürchten. Solche Veränderungen bergen ja auch irrsinnige Chancen. Wir bleiben nicht stehen, wir entwickeln uns weiter. Und wenn du mit den betroffenen Menschen sprichst, mit denen, die in der Produktion tätig sind, und auch mit den Betriebsrätinnen und den Betriebsräten: Die haben das Selbstbewusstsein, zu sagen: „Wir werden es immer schaffen. Wir sind gut ausgebildet, wir sind tolle Fachkräfte, wir schaffen das.“
Brand: Das haben wir auch in der Studie gesehen. Die Beschäftigten wissen schon um ihre Qualifikation. Ein Zitat eines Betriebsratsvorsitzenden in einem Automobilunternehmen: „Unsere Leute machen aus Kacke Butter!“ Er meint also: „Unsere Leute können richtig was und sind bereit, auch anders zu produzieren.“ Und so ein Selbstbewusstsein ist ja eine gute Grundlage dafür, etwas konfliktiver zu sein.
Was meinst du damit?
Brand: „Wir müssen uns zusammenreden“ – bei bestimmten Punkten ist das ganz wichtig, aber der sozial-ökologische Umbau ist auch eine Frage der Verfügung über Eigentum: Wer verfügt über Investitionen, wer verfügt über Forschung und Entwicklung, wer bestimmt, dass die Produktion in andere Länder verlagert wird? Es gibt unglaublich viel Vermögen, es gibt unglaublich viel geballte ökonomische Macht in dieser Gesellschaft. Daher sollte die öffentliche Hand gerade jetzt nicht nur Krisenrettung betreiben, sondern auch Anteile bekommen. Dann kann die Öffentlichkeit auch mitbestimmen bei diesen Investitionen und Entscheidungen, und zwar mit sozialen und ökologischen Kriterien. Hier muss man die Machtfrage stellen.
Wimmer: Zum Thema Konfliktfreudigkeit müssen wir auch ehrlicher zu uns selber sein. Als Metaller, und jetzt als PRO-GE, sind wir schon immer jene gewesen, die da ein bisschen fester draufgedrückt haben, und das merkt man auch bei unseren Kollektivvertragsverhandlungen. Aber insgesamt, in Zeiten der großen Sozialpartnerschaft, damals in großkoalitionärer Einigkeit, haben wir als Gewerkschaft sehr viel an Kampfeslust und Kampfesfreude verloren. Wenn man jetzt wieder Gegenmachtsfähigkeit haben will, kann man nicht einfach mit dem Finger schnippen. Sondern das ist sehr, sehr, sehr viel Arbeit. Und das geht nicht von heute auf morgen. Schön langsam gewinnen wir hier aber wieder an Boden. Wir machen Schulungen, wir machen eigene Kurse dafür.
Brand: In der Gewerkschaftsforschung werden vier Machtressourcen von Gewerkschaften unterschieden: Die institutionelle Macht, die ist in Österreich in Form der Sozialpartnerschaft sehr stark. Dann gibt es die Organisationsmacht, also wie viele Mitglieder hat die Gewerkschaft, wie kann sie mobilisieren: Sind die Leute bereit, zu streiken? Drittens, die gesellschaftliche Macht – die können Gewerkschaften erweitern, wenn sie in starken Bündnissen agieren. Dazu kommt, oft unterschätzt, die strukturelle Macht der Beschäftigten, nämlich in welcher Branche, auf welchem Arbeitsplatz arbeiten Menschen. Gut qualifizierte Menschen, die gefragt sind, können ja durchaus Forderungen stellen.
Wimmer: Hier ist mir schon wichtig, zu betonen: Mir ist keine Betriebsversammlung bekannt, wo ein Streikbeschluss von den Kolleginnen und Kollegen abgelehnt wurde. Nur: Der Betriebsrat muss ja erst mal den Antrag auf einen Streikbeschluss stellen. Wir haben oftmals auch miterlebt, dass das bei unseren Funktionären schwieriger umzusetzen ist als bei den Arbeitern. Ich erinnere mich an eine gewerkschaftliche Auseinandersetzung in einer Gießerei, wo auch sehr viel Frauen beschäftigt sind. Da wird dir dann schon ein bisschen anders, wenn die da stehen, rußig im Gesicht, die Frauen und die Männer, und dann sagst du: „Wir müssen ab morgen wahrscheinlich streiken, weil die Geschäftsführung bewegt sich überhaupt nicht.“ Dann steht eine auf und sagt: „Das machen wir!“ Und dann stehen alle auf und sagen: „Jawohl, wir machen diesen Beschluss.“ Das ist anders, als wenn ich eine Betriebsversammlung in einer Bank oder Versicherung mache.
„Die Menschen haben ein irrsinniges Kapital mit ihren Händen, mit ihrem Kopf und mit ihrer Arbeitskraft. Das ist eines der wichtigsten Dinge, die wir uns immer wieder bewusst machen müssen.”
Warum, glaubst du, ist das etwas anderes in diesen Produktionsbetrieben als zum Beispiel in einer Bank oder Versicherung?
Wimmer: Es gibt dort weniger Gewerkschaftsmitglieder und auch keine so große Solidarität unter den Beschäftigten wie in einem Produktionsbetrieb. Wir diskutieren das auch innerhalb der Gewerkschaft. Bei Angestellten müssen wir uns schon oft mehr bemühen, dass wir sie zu Versammlungen und Protestkundgebungen hinbekommen. Auch darum gehen uns die großen Produktionsbereiche ab, wenn die Unternehmen ihre Werke schließen: Nämlich, um Solidarität zu üben, um die Machtfrage zu stellen. Um den Menschen in Erinnerung zu rufen, dass sie ein irrsinniges Kapital haben mit ihren Händen, mit ihrem Kopf und mit ihrer Arbeitskraft. Und dass sie das auch, wenn es notwendig ist, einmal nicht einsetzen können, um etwas zu erwirken. Das ist, glaube ich, eines der wichtigsten Dinge, die wir uns immer wieder bewusst machen müssen.
Eine neue Herausforderung für Gewerkschaften ist der Umgang mit Wirtschaftswachstum. Auch hier gibt es das Dilemma: Wirtschaftswachstum kann Arbeitsplätze schaffen, ist eine gute Grundlage für gewerkschaftliche Forderungen in Lohnverhandlungen. Aber Wirtschaftswachstum treibt auch die Klimakatastrophe immer weiter voran, wie immer mehr Studien belegen.
Wimmer: Irgendwann werden wir an einen Punkt kommen, das merken wir jetzt schon, wo wir hinnehmen müssen, dass wir nicht mehr wachsen können.
Brand: Diese Diagnose teile ich. Wir werden keine hohen Wachstumsraten mehr haben. Und ich würde sagen, es geht in Zukunft weniger um Wirtschaftswachstum, sondern um eine stabile Gesellschaft und Wirtschaft, die natürlich auch innovativ ist. Die Frage ist daher: Wie kann auch ohne Wachstum Wohlstand geschaffen werden? Wie klappt etwa unser Sozialsystem nicht zusammen, wie klappt der Arbeitsmarkt nicht zusammen? Wie schaffen wir eine Wirtschaft, die innovativ bleibt, die sich aber nicht nur an Profitmaximierung orientiert? Eine krisenfeste Wirtschaft hängt nicht am Wachstumstropf, sondern eine krisenfeste Wirtschaft schafft erstmal gute Arbeitsplätze und ein auskömmliches Leben. Eine gute Gesellschaft, ein gutes Leben für alle hat viel mit Umverteilung, mit Gerechtigkeit zu tun. Da sind wir schnell bei Fragen von anderer Staatsfinanzierung, etwa durch Vermögenssteuern, und auch von Arbeitszeitverkürzung. Und es sind natürlich Fragen von Interessen und Macht. Dazu braucht es starke Gewerkschaften, starke Interessenvertretungen.
Wimmer: Arbeitszeitverkürzung ist eine Auseinandersetzung, wo wir jedenfalls Gegenmacht und viel Kraft brauchen. Freiwillig machen die das hundertprozentig nicht. Wenn wir in den Verhandlungen bei den Arbeitgebern, wurscht wo, nur mit „A…“ beginnend den Mund aufmachen, dann sagen die schon reflexartig „Nein“. Und wenn etwas nur am Rande mit Arbeitszeit zu tun hat, dann sagen sie „Nein, nein“. Und das hat mit Gier etwas zu tun, weil mit jeder Arbeitszeitverkürzung nehmen wir dem Arbeitgeber ein bisschen von seiner Substanz. Eine normale Lohnerhöhung ist immer das Stückerl, das wir uns eh selber verdient haben – und auch das müssen wir immer erkämpfen. Das Tortenstück bleibt dabei aber immer gleich, es wird nur ein bisschen länger, weil die Torte insgesamt wächst. Bei der Arbeitszeitverkürzung wird aber das Tortenstück größer, und da nehmen wir ihnen wirklich persönlich etwas weg. Da kann sich der dann keinen zweiten Hubschrauber kaufen. Und das ist das, was sie einfach verrückt macht, wo sie mit aller Gewalt dagegen halten.
Die aktuelle Situation bei MAN in Steyr
Stand 09.04.2021, von Christian Rechberger (Sekretär des PRO-GE Bundesvorsitzenden)
Am 30.09.2020 kündigte der MAN-Vorstand den erst zum Jahreswechsel 2019/2020 unterzeichneten und bis 2030 gültigen Standort- und Beschäftigungssicherungsvertrag und stellte den Produktionsstandort Steyr „zur Disposition“ – ein massiver Vertrauensbruch gegenüber den Mitarbeiter:innen. Seither kämpfen Betriebsrat und Gewerkschaft um den Erhalt der rund 2.300 direkt betroffenen Arbeitsplätze (Studien zufolge hängen an diesem Werk in Summe sogar 8.400 Arbeitsplätze mit einer jährlichen Wirtschaftsleistung von knapp einer Milliarde Euro): Am 15. Oktober 2020 fand eine Betriebsversammlung inklusive einer Protestkundgebung am Stadtplatz von Steyr statt, an der rund 4.000 Menschen teilnahmen – seitdem verfügt die Belegschaft auch über einen aufrechten Streikbeschluss. Zudem erhoben Arbeiter:innen- und Angestelltenbetriebsrat beim Wirtschaftsministerium einen „Einspruch gegen die Wirtschaftsführung“ gemäß dem Arbeitsverfassungsgesetz, da die Schließung eines profitablen Werks aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht nachvollziehbar ist. In Folge wurde zum ersten Mal seit dem Fall Semperit Anfang der 2000er eine staatliche Wirtschaftskommission einberufen.
Parallel dazu bekundeten Investoren und Investorengruppen Interesse am „zur Disposition“ stehenden Werk in Steyr. MAN entschied sich jedoch frühzeitig und gegen das Drängen der Betriebsräte, nur mit einem Investor – Siegfried Wolf – Übernahmeverhandlungen zu führen. Ebenso frühzeitig entschied sich die Belegschaftsvertretung, ein allfälliges Verhandlungsergebnis einer Urabstimmung durch die Beschäftigten zu unterziehen. Am 26.03.2021 wurden den MAN-Mitarbeiter:innen im Rahmen einer Betriebsversammlung die Vorstellungen des Investors präsentiert: Einem grundsätzlich schlüssigen industriellen Konzept stehen der Wegfall von beinahe 1.000 Arbeitsplätzen sowie, für die verbleibenden Mitarbeiter:innen, Einkommenseinbußen von 15% netto und arbeitsrechtliche Verschlechterungen durch Wegfall vieler Betriebsvereinbarungen gegenüber.
Im Vorfeld der Urabstimmung am 07.04.2021 wurde gegenüber den Beschäftigten gewaltiger Druck aufgebaut: Entweder Übernahme des Werks durch Siegfried Wolf oder Schließung des Werks. Sowohl diese respektlose Vorgehensweise als auch die Konditionen der geplanten Übernahme lehnten die Beschäftigten bei einer Wahlbeteiligung von 94% mit 63,9% „Nein“-Stimmen klar ab. Das ist ein starkes Signal betrieblicher Demokratie und Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Konzernführung. Nun liegt der Ball erneut bei MAN. Betriebsrat und Gewerkschaften fordern die Rückkehr der Konzernverantwortlichen an den Verhandlungstisch und die faire Prüfung aller vorliegenden Konzepte – inklusive derer, die einen starken Fokus auf grüne Technologien legen. Während die VertreterInnen der Sozialdemokratie seit Beginn dieser Auseinandersetzung an der Seite und im ständigen Austausch mit den Betroffenen stehen, beschränkte sich die zuständige Wirtschaftsministerin darauf, im Oktober 2020 vage die Bildung eines „Österreich-Konsortiums“ anzukündigen. Ein halbes Jahr später meldete sich nun Margarete Schramböck erneut zu Wort: Sie findet die Entscheidung der Belegschaft „bedauerlich“.
Zu den Personen
Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Er ist Mitherausgeber der politisch-wissenschaftlichen Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik, sowie Mitgründer und Vorstandmitglied von Diskurs. Das Wissenschaftsnetz. Er forscht und lehrt zu kritischen Analysen der Globalisierung und ihrer politischen Regulierung, sowie zur ökologischen Krise, Global Environmental Governance und sozial-ökologischen Transformation.
Rainer Wimmer ist Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft PRO-GE und Vorsitzender der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen. Mit wenigen Unterbrechungen ist er seit 1993 Abgeordneter zum Nationalrat und SPÖ-Bereichssprecher für Industrie, davor war er Bürgermeister der Marktgemeinde Hallstatt. Als gelernter Elektriker arbeitete er als Bergmann bei den Österreichischen Salinen, bevor er als Betriebsrat für die gewerkschaftliche Arbeit freigestellt wurde.