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Unbezahlt, unterbezahlt, systemerhaltend: Die Arbeit von Frauen

Applaus und Lobreden für jene, die unsere Gesellschaften auch während des Corona-Lockdowns am Laufenden gehalten haben – das reicht nicht, aber es könnte die Grundlage für tatsächliche Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen und der Bewertung dieser Tätigkeiten sein. Über notwendige Maßnahmen diskutieren Katharina Mader (WU Wien) und Korinna Schumann (ÖGB).

Dieses Gespräch war Teil der Online-Diskussionsreihe „Frauenleben in und nach der Krise“, organisiert von den SPÖ-Frauen und dem Karl-Renner-Institut. Andrea Brunner, SPÖ-Bundesfrauengeschäftsführerin, moderierte die Veranstaltung.

„Ein bisschen hilft die Heldinnen-Erzählung doch.“

Wir hören in den letzten Wochen viel über Systemerhalter:innen. Wie beurteilt ihr diese Diskussionen?

Schumann: Wir wissen, dass Frauen mit ihrer Arbeitsleistung diese Gesellschaft am Laufen gehalten haben: 70 Prozent der Personen in systemrelevanten Berufen sind Frauen. In der öffentlichen Wahrnehmung hat sich dabei etwas geändert, nämlich dass diese Berufe, die häufig mit schlechter Bezahlung, schlechten Arbeitsbedingungen und geringer Wertschätzung einhergehen, dass diese Berufe jetzt anders gesehen werden, weil wir sie in der Krise so dringend brauchen.

Mader: Ein Begriff, den wir in der Ökonomie, vor allem in der feministischen Ökonomie, in Zusammenhang mit Krisen verwenden, ist der Begriff des „sozialen Airbags“: Dass Frauen mit ihrer Arbeit ganz viel von dem auffangen, was vom Staat nicht mehr geleistet wird, was man sich auf dem Markt nicht mehr leisten kann, was, so wie jetzt, zugesperrt wird. Da sind Frauen die „Airbags“ und fangen das auf. Wenn man sich den Begriff aber genauer anschaut, dann sind ja Airbags am Schluss eines Unfalls kaputt. Und auch das wollen wir nicht.

Schumann: Jedenfalls. Daher reicht es nicht, am Balkon zu stehen und zu klatschen und mit blumigen Worten zu sagen, wie toll die das machen. Sondern da geht es darum, dran zu bleiben und zu fordern: Es braucht eine finanzielle Anerkennung für die Personen die da gearbeitet haben – und das sind eben sehr viele Frauen. Und es braucht eine neue Bewertung von Arbeit. Das Thema der Bewertung der Arbeit wird ein sehr großes werden: Jene Berufe, die bisher keine große Wertschätzung erfahren, muss man jetzt anders bewerten. Und das muss sich in den finanziellen Leistungen und vor allem in den Arbeitsbedingungen widerspiegeln.

Wo kann man da anfangen?

Schumann: Auch wenn es ein kleiner Schritt ist, ist es trotzdem ein wichtiger: Die Forderung nach dem „Corona-Tausender“. Der ÖGB fordert einen Tausender für all jene, die in vorderster Reihe draußen waren, sich dem Ansteckungsrisiko ausgesetzt haben und so wichtig sind, um diesen Staat und die Versorgung am Laufen zu halten. Das wäre ein erster Schritt, um zu zeigen, dass da Besonderes geleistet wurde. Das wäre auch ein wichtiger Motor für die Frage der Bewertung dieser Leistungen. Dabei geht es ja nicht nur um das Geld für die Leute, die das jetzt ganz dringend brauchen können. Sondern es wäre auch ein Zeichen, dass man diese Leistung anerkennt. Ein bisschen hilft die Heldinnen-Erzählung dann doch – so sehr sie mit Vorsicht zu genießen ist – um diese Berufe einmal hervorzuheben, um zu zeigen, was für eine Power dahintersteht und wie wichtig sie für uns sind.

Mader: Ich denke es ist auch notwendig, bei den systemrelevanten Berufen hinzuschauen, warum die eigentlich so schlecht bewertet sind. Man kann zum Beispiel sagen, Arbeit wird danach bewertet, wie viele Leute jemanden ersetzen könnten, also wie groß die Reserve an Leuten ist, die diesen Job machen könnten. Das hängt auch damit zusammen, wie hoch meine Qualifikation ist, meine Verantwortlichkeit für andere, mein Risiko. Bei diesen systemrelevanten Berufen, vor allem in der Pflege, der Kinderbetreuung, der Reinigung, hängt diese Bewertung ganz stark mit der Bewertung unbezahlter Arbeit zusammen. Das sind Berufe, die aus der unbezahlten Arbeit heraus entstanden sind. Diese unbezahlte Arbeit wird niedrig bewertet, die ist unsichtbar im eigenen Zuhause, ist monetär nicht bewertet – und dann wird sie draußen in der Arbeitswelt genauso schlecht bewertet. Auch deshalb, weil eben eine große „Reservearmee“ von Frauen da ist, die es ja wieder im Privaten machen könnten. Das heißt, wenn wir Arbeit neu bewerten und neu sichtbar machen wollen, dann müssen wir genau dort anfangen, nämlich bei einer Neubewertung der unbezahlten Arbeit.

Was wissen wir über unbezahlte Arbeit?

Mader: Zum Umfang und der Aufteilung zwischen den Geschlechtern haben wir leider nur alte Daten, nämlich aus 2008/2009. Aus dieser Zeitverwendungserhebung wissen wir: Erstens, das Volumen der bezahlten Arbeit ist ähnlich groß wie das Volumen der unbezahlten Haus- und Sorgearbeit. Menschen in Österreich verrichten im Jahr 9,5 Milliarden Stunden bezahlte Erwerbsarbeit und 9 Milliarden Stunden unbezahlte Sorge-, Pflege- und Hausarbeit. Zweitens, zwei Drittel dieser unbezahlten Arbeiten machen Frauen. Und drittens, wir haben ausgerechnet, mit einem Durchschnittslohn von 11 Euro kommen wir für diese 9 Milliarden Stunden unbezahlter Arbeit im Jahr auf 100 bis 105 Milliarden Euro. Das waren 2008/2009 ungefähr 30 Prozent des BIPs. Wenn das keine riesige Vorleistung für die Wirtschaft ist, dann weiß ich nicht.

„Wir werden natürlich in einen Verteilungskampf kommen.“

Das hat sich sicher in den Monaten des Corona-Lockdown nochmal verschoben.

Mader: Das Volumen der unbezahlten Arbeit hat sich massiv erhöht. Wir hatten die de facto geschlossenen Kindergärten, geschlossene Schulen, die Großeltern, die nicht mehr für Kinderbetreuung zur Verfügung stehen (in Österreich gab es letztes Jahr eine Studie dazu, die gezeigt hat, dass ein Drittel aller unter 14-jährigen Kinder täglich Zeit mit den Großeltern verbringen), die 24-Stunden-Pflegerinnen, die begrenzt oder gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Es geht da ja nicht nur um Kinderbetreuung, sondern auch um Pflege und Altenbetreuung, auch um Werkstätten für Personen mit besonderen Bedürfnissen, die geschlossen waren. Aber auch sehr viele der schwarzbeschäftigten Putzfrauen, Kindermädchen, nicht abgesicherten Frauen, die dann ohne Erwerbstätigkeit dagesessen sind und deren Arbeit ja auch von irgendwem erledigt werden musste. Das heißt, der Lockdown hat das Volumen der unbezahlten Arbeit enorm erhöht.

Schumann: Was mir vor allem Sorge bereitet ist, welche Zeichen die Regierung im Zuge dieser Krise gesetzt hat, welche gesellschaftlichen Bilder sich dabei im politischen Handeln widerspiegeln. Bei den über 60 Pressekonferenzen der Regierung während des Lockdowns gab es keine einzige zum Thema „Frauen und Krise“. Es wurden Teile der Frauenproblematik angesprochen, sehr stark fokussiert auf das Thema Gewalt, aber alle anderen Problematiken, die genauso da sind, wurden von der Regierung nie aus Frauenperspektive thematisiert: Die Frage, wie kriege ich Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut, wie schaffe ich es, mit dem Geld auszukommen, was heißt für mich die Bedrohung von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit. Im Gegenteil, es wurde ins Private verschoben: Das Betreuungsthema ist privat, das sollen sich die Leute selber regeln. Man hat zwar eine Sonderbetreuungszeit eingeführt, aber eben ohne Rechtsanspruch und sehr begrenzt, der Arbeitgeber musste zustimmen und man hatte nur drei Wochen insgesamt.

Mader: Was wir aus allen Krisen der letzten Jahrzehnte sehen ist, dass es die Frauen sind, die einen großen Anteil dieser unbezahlten Arbeit übernehmen, während und auch nach Krisen. Über Homeoffice wissen wir nicht sehr viel, aber aus Deutschland gibt es Studien, die zeigen, dass Eltern keinen Freizeitgewinn über Homeoffice haben. Mütter leisten täglich eine Stunde mehr unbezahlte Arbeit, wenn sie im Homeoffice sind; bei den Vätern macht Homeoffice überhaupt keinen Unterschied, was die Kinderbetreuung oder die unbezahlte Hausarbeit betrifft. Wir wissen aus unterschiedlichen Studien auch, dass Frauen zuhause eher keinen eigenen Arbeitsplatz in einem geschlossenen Raum haben; die Möglichkeit haben tendenziell eher die Männer. All dieses Wissen legt sehr nahe, dass es auch jetzt die Frauen sind, die die zusätzliche unbezahlte Arbeit in den Haushalten übernehmen.

Wie kann man hier politisch eingreifen?

Schumann: Es braucht jetzt Maßnahmenpakete, es braucht eine Joboffensive, Konjunkturpakete. Dabei ist wichtig, dass man sich auch immer fragt, wie stark ist die Auswirkung auf Frauen und wie stark ist sie auf Männer. Zum Beispiel eine unserer Forderungen: 50 Prozent der AMS-Mittel müssen wirklich für Frauen eingesetzt werden. Jede Konjunkturmaßnahme muss in Bezug auf ihre geschlechterspezifischen Auswirkungen hinterfragt werden: Welchen Bereich fördere ich, welche Arbeitsplätze werden damit wieder geschaffen? Eine weitere Forderung: Wir brauchen eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Das ist gerade für Frauen, die wenig verdienen, ganz besonders wichtig. Die Menschen rutschen jetzt in der Arbeitslosigkeit ins Elend ab. Mir ist ein Rätsel, wie die Regierung da nicht sagen kann: „OK, tun wir was für die Leute, die unverschuldet in Not geraten sind.“

Mader: Unbezahlte Arbeit und deren Veränderungen sind immer ganz stark an Krisen gebunden, insofern ist natürlich eine Krise eine Chance, aber sie wird ohne starke feministische Kämpfe zu einem großen Teil auf den Schultern der Frauen landen. 

Schumann: Ja, für uns macht sich jetzt ein Fenster auf. Auf der einen Seite durch die Krise und das Erkennen, wie wichtig gerade diese vorher so wenig wertgeschätzten Berufe sind, weil sie das System am Laufen halten. Auf der anderen Seite werden wir natürlich in einen Verteilungskampf kommen, das ist gar nicht anders möglich, weil ja die finanziellen Mittel am Ende doch begrenzt sind. Das konkrete Kampffeld sind die Kollektivvertrags-Verhandlungen. Unsere Forderung nach dem 1.700 Euro Mindestlohn bleibt ja weiter aufrecht. Die Erhöhung des KV-Mindestlohns ist ein wichtiges Mittel, um Frauenarmut, auch im Alter, zu verhindern, weil das wirkt sich ja alles auf die Pension aus. Ich denke es ist Zeit, hier weitere Schritte zu gehen. Einfach wird es aber nicht. Wir brauchen alle Power, allen Rückenwind den wir kriegen können, um da wirklich stark auftreten zu können. Man ist so stark wie die Menge, die hinter einem steht.

„Wir müssen Männer ein bisschen von der bezahlten Arbeit entlasten.“

Welche Bedeutung hat dabei das Thema Arbeitszeitverkürzung?

Schumann: Ich glaube, es ist dringend notwendig, vor allem aus Geschlechterperspektive. Wir wissen ja, dass schon vor der Krise fast jede zweite Frau in Österreich Teilzeit gearbeitet hat – um genug Zeit für die unbezahlte Arbeit zu haben, die eben in erster Linie von Frauen gestemmt wird. In Wahrheit ist diese Teilzeitarbeit eine Arbeitszeitverkürzung auf eigene Kosten – auf Kosten der Frauen. Die Forderung nach einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung ist also essenziell. Die Gefahr ist, dass durch die Krise die Schere zwischen denen, die zu viel Arbeit haben, und jenen, die keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben, noch weiter auseinandergeht. Eine Arbeitszeitverkürzung und damit die Möglichkeit, Arbeit besser und breiter zu verteilen, ist das Gebot der Stunde. Aber es muss einem klar sein, dass die Widerstände ganz groß sind.

Mader: Arbeitszeitverkürzung ist tatsächlich die Vorbedingung dafür, dass man unbezahlte Arbeit besser verteilen kann, vor allem in Paarhaushalten zwischen den Geschlechtern. Wir haben im Moment die ganz starke Erzählung, dass Männer nicht mehr unbezahlte Arbeit übernehmen können, weil sie so viel bezahlte Arbeit machen. Stimmt auch, daher müssen wir sie eben von der bezahlten Arbeit ein bisschen entlasten. Es ist aber auch darauf hinzuweisen, dass eine Arbeitszeitverkürzung nicht automatisch zu einer besseren Verteilung der unbezahlten Arbeit führt. Die Studien, die wir kennen, zeigen, dass Männer dann tendenziell mehr Freizeit haben und Frauen den gleichen Anteil an unbezahlter Arbeit weitermachen. Es wird also auch ganz starke Sensibilisierungsmaßnahmen brauchen. Wie in den 90er Jahren, als Helga Konrad die „Ganze Männer machen halbe-halbe“ Kampagne präsentiert hat: So etwas wird in Verbindung mit einer Arbeitszeitverkürzung auch notwendig sein.

Was können wir tun, damit die symbolische Wertschätzung gegenüber Systemerhalter:innen auch nach Corona erhalten bleibt und in tatsächliche Verbesserungen übersetzt wird?

Mader: Es wird ganz wesentlich sein, gute Konzepte zu haben, was die Finanzierung all dieser Konjunkturprogramme betrifft: Dass nicht nach dieser Krise dann gleich der Sparkurs anfangen kann. Dass klar ist, dass ein Budget zwei Seiten hat, nämlich Einnahmen und Ausgaben, und wir nicht ausschließlich auf der Ausgabenseite sparen können, um das Budget zu sanieren. Es gibt auch einnahmenseitig wichtige Maßnahmen, die sich auch gut vermitteln lassen: Vermögensbesteuerung, Erbschaftsbesteuerung, aber auch einmalige Ideen wie Solidaritätsbeiträge. Jedenfalls dürfen wir dieses Vertrösten nicht durchgehen lassen: „Warten wir, bis es der Wirtschaft besser geht.“

Schumann: Es darf nicht in Vergessenheit geraten, wie wichtig diese Berufe sind. Das darf nicht überdeckt werden von diesem Argument „Jetzt ist kein Geld da“ oder „Die Situation ist so schwierig und es ist alles so unglaublich nicht lösbar, seid verständnisvoll“. Es ist wichtig, dass Frauen ihre Geschichten erzählen. Und sie laut erzählen und sie einander erzählen. Der falsche Weg wäre immer, zu sagen „Ich schaffe das eh, irgendwie schaffe ich das schon und wenn ich es nicht schaffe, dann bin ich selber schuld“. Ich glaube, unter diesen extremen Belastungssituationen können wir unsere Perfektionismustendenzen bitte ablegen und einfach sagen, „Das ist ein Wahnsinn, ich weiß gar nicht, wie ich das jetzt in den Ferien mit den Kindern machen soll, der Urlaub ist verbraucht, Geld haben wir nicht, und die Großeltern können nicht auf die Kinder schauen“. Ja, das ist eigentlich das Wichtige. Man braucht sich nicht genieren, wenn man es nicht schafft. Wenn einen diese Situation belastet, ist das ganz normal. Aber wir kommen da heraus wenn wir viele sind und gemeinsam füreinander eintreten.

Zu den Personen

Katharina Mader ist Assistenzprofessorin am Institut für Heterodoxe Ökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien und forscht dort zu feministischer und politischer Ökonomie. Sie wurde mehrfach für ihre Arbeiten ausgezeichnet, zuletzt 2019 mit dem Käthe-Leichter-Staatspreis für Frauen- und Geschlechterforschung. Aktuell untersucht sie den Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Veränderungen im Gender Pay Gap.

Korinna Schumann ist seit 30 Jahren als Gewerkschafterin aktiv. Sie ist Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende des ÖGB. Darüber hinaus ist sie Mitglied des Bundesrates, wo sie auch die SPÖ-Fraktion leitet.

Leseempfehlung: www.frauenundcorona.at, mit umfangreicher Artikelsammlung zu Frauenleben während und nach der Krise, Dokumentation der Online-Diskussionsveranstaltungen und Informationen über Aktivitäten und Kampagnen