Wer bringt mein Weihnachtsgeschenk? Prekäre Arbeitsbedingungen in der Paketlogistik
Insbesondere in der hektischen Vorweihnachtszeit erleben Online-Shopping und die damit verbundene Paketzustellung einen Höhepunkt. Damit geraten auch die Arbeitsbedingungen in der Paketlogistik in den Fokus. Eine 5-köpfiges Projektteam am Institut für Soziologie der Universität Wien, geleitet von Johanna Neuhauser und Anita Heindlmaier, hat dieses Thema in einer kürzlich fertiggestellten Studie eingehend untersucht. Sie haben Interviews mit Beschäftigten, sowie Gespräche mit Expert:innen und Unternehmen geführt, wichtige Branchenkennzahlen analysiert, und damit ein umfassendes Bild der aktuellen Situation in der österreichischen Paketlogistik gezeichnet.
Seit 2015 hat sich die Anzahl der jährlich in Österreich zugestellten Pakete mehr als verdoppelt, von knapp 150 auf über 300 Millionen im Jahr 2022. Parallel dazu stiegen die Umsätze der Branche von knapp 500 auf über 1.000 Millionen Euro. Während Online-Shopping mit Paketzustellung für die Verbraucher:innen bequem und für die Unternehmen profitabel ist, offenbart die Kehrseite der Medaille eine Welt prekärer Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in Verteilerzentren und in der Zustellung.
Arbeitsrechtsverletzungen, Druck und Belastungen
Die Studienergebnisse zeigen eine besorgniserregende Entwicklung: Es gibt eine zunehmende Ausweitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse, wie Scheinselbständigkeit und Leiharbeit. Verstöße gegen das Arbeitsrecht sind an der Tagesordnung – Überstunden werden oft nicht bezahlt, häufig kommt es zu Lohnkürzungen aufgrund von verloren gegangenen Paketen, Autoreparaturen oder Verkehrsstrafen.
Der Kunde ist König, wenn der Kunde sagt nein, [das Paket] ist nicht zugestellt, dann bin ich der Schuldige.
Die Arbeitsrealität in der Paketzustellung ist geprägt von extremem Druck und Belastungen. Arbeitszeiten hängen von der Anzahl der auszuliefernden Pakete ab, was die Arbeiter:innen unter enormen Zeitdruck bringt; oft bleibt keine Pausenzeit für Toilettengang oder Mahlzeiten. Bei Kund:innenbeschwerden gibt es Arbeitssperren. Die körperlich anstrengende Arbeit, kombiniert mit einem Gefühl permanenter Überwachung durch digitale Arbeitssteuerungssysteme, führt zu starker Erschöpfung.
Prekäres Leben – prekäre Arbeit
Warum nehmen die Arbeiterinnen und Arbeiter diese Bedingungen in Kauf? Ein Blick auf die Beschäftigungsstruktur zeigt, dass der Anteil der Beschäftigten ohne österreichische Staatsbürgerschaft in den letzten Jahren stark gestiegen ist, nämlich von 15% im Jahr 2017 auf 27% im Jahr 2022. Vor allem migrantische Beschäftigte sind zahlreichen Unsicherheiten auch außerhalb ihres unmittelbaren Arbeitslebens ausgesetzt, betreffend ihren Aufenthaltsstatus und Sozialleistungsbezug, ihre Wohnsituation und familiäre Angelegenheiten. Die Angst vor Kündigung ist allgegenwärtig:
Bei irgendeinem Fehler oder irgendeiner Beschwerde (...) oder wenn sie keine Leute mehr brauchen, wird man ohne irgendeine Vorwarnung gekündigt. (...) Am Laptop können sie sehen, wer langsam ist (...) und im Jänner haben sie alle langsamen Arbeiter gekündigt.
Auslagerung von Verantwortung
Obwohl die arbeitssoziologische Forschung zeigt, dass Arbeitskräftemangel normalerweise zu stärkerer Verhandlungsmacht der Beschäftigten und damit zu besseren Arbeitsbedingungen führt, ist dies in der Paketlogistik nicht der Fall. Die Studie weist darauf hin, dass das vor allem an Lücken in der Durchsetzung von Arbeitsrecht in den zuständigen Institutionen (Arbeitsinspektorat, Finanzpolizei, Gesundheitskasse) liegt. Ein strukturelles Problem ist dabei die Auslagerung von Aufträgen an Sub- und Sub-Sub-Unternehmen, mit der sich die Auftraggeber aus der Verantwortung ziehen.
Um diese Missstände zu beheben, bedarf es einer verstärkten Regulierung von Leiharbeit und Subauftragsvergabe. Vor allem müssen die Auftraggeber für Verletzungen der Arbeitsrechte, die durch von ihnen beauftragte Sub-Unternehmen begangen werden, zur Verantwortung gezogen werden. Darüber hinaus ist eine generelle Verbesserung der Lebenslagen von – vor allem migrantischen – Beschäftigten in Österreich erforderlich, damit diese nicht in eine Situation gebracht werden, in der sie prekäre Arbeitsverhältnisse in Kauf nehmen müssen.
Die Studie zum Nachlesen
Neuhauser, Johanna et al. (2023): „Es ist eine Pyramide - der Druck kommt von oben nach unten.” Working Paper Reihe der AK Wien.