Springe zum Hauptmenü Springe zum Inhalt Springe zum Fußzeilenmenü

Wie in Medien über Reichensteuern berichtet wird

Warum sollten wir lieber über „Privatjetsteuer“ statt über „Vermögenssteuer“ reden, und welche österreichische Tageszeitung hetzt besonders knallhart gegen Reichensteuern? Hendrik Theine (Wirtschaftsuniversität Wien) und Jan Krainer (Nationalrats-Abgeordneter) im Austausch über mediale Diskurse zu Verteilung und Steuern.

Das ist eines jener Gespräche, in dem der Redefluss nicht auf Anregungen der Moderatorin angewiesen war, sondern sich selbständig in einen reißenden Strom mit immer neuen Wendungen verwandelte – angetrieben von der Diskussionsfreudigkeit der Gesprächspartner. Es wäre wohl noch lange weitergegangen, hätte Jan Krainer nicht schon zu den nächsten Besprechungen rund um den Ibiza-U-Ausschuss und Budgeterstellung laufen müssen.

„Wir nennen es jetzt Millionärssteuer. Damit wissen 98 Prozent, dass sie nicht betroffen sind.“

Laut einer Studie des Instituts für empirische Sozialforschung sind über 70 Prozent der Menschen in Österreich für Reichensteuern. Warum gibt es dann hierzulande keine Erbschafts- und Vermögenssteuern?

Krainer: Weil das Wesentliche in einer Demokratie nicht ist, recht zu haben, sondern im Parlament die Mehrheit zu haben. Und die ÖVP blockiert diese Steuern. So einfach ist die Welt. Aber es ist natürlich wahnsinnig wichtig, dass sich die Meinung in der Bevölkerung geändert hat. Früher waren in den Umfragen zwei Drittel gegen Erbschaftssteuern, in der Zwischenzeit hast du zwei Drittel dafür. Ein Grund dafür ist sicher auch, dass wir als SPÖ ab einem gewissen Punkt gesagt haben, Erbschaften sollen erst ab einer Million besteuert werden. Da wissen viele: „Das bin ich nicht. Das sind nur die, die wirklich g‘stopft sind. Das ist okay.“

Theine: Dazu fällt mir immer dieses Plakat aus der Ausstellung „Das Rote Wien“ ein. Die rote Hand, die in den Champagnerkübel greift, dahinter das erschrockene Reichenpaar. Die haben damals nicht geredet von „Vermögenssteuer“, „Erbschaftssteuer“, „Reichensteuer“. Sondern: „Champagnersteuer“, „Kutschensteuer“, „Ballettsteuer“. Also sie haben es heruntergebrochen auf diesen Punkt: „Wir wollen, dass Reiche mehr zahlen, weil die haben zu viel Kohle.“ Und sie haben greifbar gemacht was sie meinen mit Reichtum und Exzess.

Krainer: In Österreich ist gerade die Champagnersteuer abgeschafft worden.

Theine: Ja genau, falsche Richtung. Aber es wäre wichtig zu benennen, worum es eigentlich geht, was man besteuern will. Nicht das kleine Reihenhaus, sondern eben Schlösser, Privatjets.

Krainer: Wir nennen es jetzt Millionärssteuer. Damit wissen 98 Prozent, dass sie nicht betroffen sind. Viele wollen selber Millionär:in sein, deshalb ist trotzdem ein Drittel der Leute dagegen.

Theine: Der deutsche Soziologe Jens Beckert liefert auch eine überzeugende Analyse, warum Menschen gegen Vermögens- und Erbschaftssteuern sind. Er sagt, Vermögen wird eigentlich familiär gedacht, das funktioniert nicht individuell, sondern wird als familiäre Tradition gesehen. Sein Argument, warum gerade in Deutschland und Österreich die Vermögenssteuern so niedrig sind: Weil es hier ein besonders ausgeprägtes vormodernes Verständnis von Familie gibt. Steuern werden dann als unzulässiger Eingriff in die Familie gesehen.

Krainer: Da habe ich einmal den ehemaligen IHS-Chef so schön aufs Glatteis geführt, bei einer Veranstaltung des Karl-Renner-Instituts. Es ging auch um Erbschaftssteuern und Sozialstaat. Seine Standpunkte waren: Vermögenssteuern gehen gar nicht, aber beim Sozialstaat können wir schon sparen. Ich habe ihn dann gefragt: „Welchen Zweck erfüllt Vermögen? Erstens, meinen Kindern eine gute Bildung geben zu können.“ Er nickt, sagt „Stimmt.“ Ich weiter: „Zweitens, bei Krankheit, sich eine gute Gesundheitsversorgung leisten zu können.“ – „Ja, stimmt.“ – „Drittens, wenn ich alt bin, dass ich meinen Lebensstandard halten kann.“ Er stimmt wieder zu. Ich: „Genau diese Funktionen hat der Sozialstaat. Das ist unser aller Vermögen. Und jetzt erklären Sie mir bitte, warum man beim Vermögen der kleinen Leute sparen darf, aber nicht beim Vermögen der Reichen.“ Er hatte keine Antwort, weil es gibt keine Antwort.

„Das, was jeden Tag in den Nachrichten ist, muss wichtig sein.“

Neue oder höhere Steuern als Wahlkampfthema zu haben und auf Plakate zu drucken: Das macht aber heute trotzdem niemand mehr.

Krainer: Ja, das ist ein Problem. Konservative, beginnend in den USA, aber auch in Europa, schaffen durch die Art und Weise, wie sie über Steuern reden, einen Frame, der Steuern extrem negativ darstellt, der ihre Geschichte erzählt und unsere nicht. Und die Linken übernehmen oft viel zu schnell und viel zu unreflektiert genau diesen Frame. Beispiel: „Steuerbelastung senken“. Damit verbindest du die Begriffe „Steuern“ und „Last“. Last drückt dich nieder. Anderes Beispiel: „Steueroase“. Oase ist etwas Gutes, das will man nicht trockenlegen. Nein, es sind Steuersümpfe.

Theine: Wir haben in einem Forschungsprojekt die Medienberichterstattung rund um Thomas Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ untersucht. Da wurde deutlich: Selbst wenn du nur die Artikel hernimmst, die für höhere Vermögens- und Erbschaftssteuern argumentieren, finden sich dort trotzdem die neoliberalen Begriffe, „Steuerlast“ zum Beispiel. Die Linguistin in unserem Forschungsteam hat klar gezeigt: Obwohl für etwas argumentiert wird, steckt in den Wörtern eine Negierung.

Krainer: Es ist widersinnig. Was ich auch nie verstanden habe ist der Begriff „Arbeitnehmer“. Geben ist seliger als nehmen. Dabei sind es doch die Arbeitenden, die ihre Arbeit geben, nicht die Unternehmen. Solche Begriffe übernehmen wir – und sie dann zu ändern, wenn sie erst einmal etabliert sind, ist gar nicht so einfach.

Theine: Die englische Zeitung „The Guardian“ hat das recht gut gemacht, eine Studentin an der WU hat das in ihrer Masterarbeit herausgearbeitet. Der Guardian schreibt nicht mehr vom „Klimawandel“, sondern von der „Klimakrise“. Und was ich auch sehr smart finde: In ihrem Weather Forecast haben sie CO2-Levels mit drin. Das hat die ganze Redaktion bewusst entschieden, die haben sich lange Gedanken darüber gemacht und setzen das jetzt um.

Krainer: Woran man auch etwas ändern sollte: Jeden Tag gibt es Börsennachrichten, aber über Arbeitslosigkeit wird einmal im Monat berichtet. Arbeitslosigkeit betrifft mehr, eine Million Menschen sind in Österreich im Jahr von Arbeitslosigkeit direkt betroffen, mit den Familien noch viel mehr. Wer hat schon Aktien, wen interessiert der Nasdaq? In der ZIB2 haben sie lange immer den Schlusskurs vom Down Jones gebracht, das haben sie dann abgeschafft. Endlich! Für 0,01 Prozent der Österreicher war das eine wertvolle Information, und ganz ehrlich, die hatten diese Information schon vorher. Aber das prägt natürlich, weil das ist dann wichtig: Das, was jeden Tag in den Nachrichten ist, muss wichtig sein.

Du hast vorhin bereits euer Forschungsprojekt zur Medienberichterstattung rund um das Buch von Piketty erwähnt. Was habt ihr euch da genau angeschaut?

Theine: Wir haben in der Studie den medialen Diskurs in vier Ländern untersucht: Deutschland, Österreich, UK, Irland. Rund um die Frage von ökonomischer Ungleichheit gab es tatsächlich eine relativ breite Diskussion, wir sehen da durchaus je nach Zeitung ein halbe-halbe Verhältnis von pro und contra Ungleichheit, viele Stimmen die sagen, Ungleichheit ist ein Problem. Aber sobald sich der Fokus ändert auf die Besteuerung von Vermögen und Erbschaften – also auf Maßnahmen, mit denen man dieser steigenden Ungleichheit entgegenwirken könnte – kippt es total. Es gibt da einen viel geringeren Anteil an Artikeln, die sich für Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung aussprechen. Interessanterweise sind in Österreich, im Vergleich zu den anderen drei Ländern in unserer Untersuchung, die Stimmen gegen Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung am dominantesten. Das hat uns total erstaunt, das hatten wir anders erwartet – auch weil die Zeitungen, die wir dafür ausgewählt hatten, durchaus progressive Stimmen zulassen.

Welche Zeitungen waren das?

Theine: In Österreich hatten wir die die Presse, den Standard und Profil. Die Stimmen gegen Reichensteuern waren besonders stark in der Presse. Im Standard sind vor allem die Kommentare von außen progressiv; die Artikel aus der Redaktion waren eher ausgleichend, Gegenüberstellungen von pro und contra. Aber die Presse war eigentlich von allen untersuchten Zeitungen im Projekt das Medium, das am stärksten, knallhart gegen Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung geschrieben hat, und das auch mit Begriffen und mit Bildern, wo man sich danach erstmal kurz zurücklehnen musste. Wo auch die Journalist:innen teilweise Artikel geschrieben haben wie: „Aha, ihr wollt höher besteuern: Wollt ihr die Millionäre abschaffen?“ Also auf einem Level, wo du dich wunderst: Es geht in der Diskussion ja nur um ein Prozent Vermögenssteuern, danach haben alle genauso viel, nur ein Prozent weniger.

Krainer: Meine Antwort auf dieses Argument ist immer: „Aha, ich verstehe: Es will jemand die Arbeit abschaffen, weil die besteuern wir am höchsten.“ Ich habe mir ganz zu Beginn meiner Zeit als SPÖ-Budgetsprecher grob ausgerechnet, wie da die Verteilung ist: Vom gesamten Volkseinkommen, wieviel kommt aus Steuern auf Arbeit, und wieviel aus Steuern auf Kapital? Das war keine wissenschaftliche Analyse, ich habe das ganz simpel gemacht. Zum Beispiel: Alle Sozialversicherungsbeiträge, wurscht ob Dienstnehmer oder Dienstgeber, sind eine Steuer auf Arbeit, erwirtschaften muss das die Arbeitskraft. Alle Umsatzsteuern zahlt die Endkonsumentin aus ihrem Gehalt, also Steuer auf Konsum. Aktiengewinne: Steuer auf Kapital. Vermietung, Verpachtung: Steuer auf Vermögen. Und das Verhältnis ist sehr klar, auch mit konservativeren Berechnungen: Es sind etwa 80% Steuern auf Arbeit und Konsum, 15% auf Kapital und Vermögen. Das ist schon ein grob schiefes Verhältnis …

Theine: … das aber interessanterweise medial nicht diskutiert wird. Eine aktuelle Analyse, die ich grade fertig habe, betrifft deutsche Zeitungen – diese Analyse werde ich in den kommenden Monaten auch auf Österreich ausweiten. Ich habe die 7 großen deutschen Qualitätsmedien hergenommen, Zeitraum 2000 bis 2018, und ausgewertet, wie oft Begriffe wie „Vermögenssteuer“, „Erbschaftssteuer“, „Millionärssteuer“, „Reichensteuer“ vorkommen. Das Ergebnis: Im Prinzip gibt es keinen medialen Diskurs, um es zugespitzt zu sagen. Es gibt ein paar Ausschläge, rund um die Finanzkrise 2009-2010, dann nochmal 2013-2014 mit Pikettys Buch. Aber insgesamt kommt das in weniger als 1% der gesamten Artikel vor. Das liegt deutlich unter der Wahrnehmungsschwelle normaler Zeitungsleser:innen.

Zusammengefasst: Reichensteuern sind medial entweder kein Thema, oder es wird dagegen argumentiert, vor allem in den österreichischen Medien. Worauf führst du das zurück? Auf die Eigentümer:innenstruktur der Zeitungen?

Theine: In so einer Analyse wie wir sie gemacht haben, wo man sich die Berichterstattung ansieht, kann man nur darüber spekulieren woran es liegt. Ich würde es auf drei Faktoren zurückführen: Erstens die Eigentümer:innen. Das ist unterschiedlich ausgeprägt, je nach Medium gibt es unterschiedliche Traditionen, welche Rolle die Eigentümer:innen haben im Vergleich zur Redaktion. Zweitens die dominanten Narrative und Diskurse, die rund um das Medium existieren. Die Presse zum Beispiel existiert in einem sehr marktliberalen, konservativen Umfeld, hat eine konservative Leser:innenschaft. Die Presse wird sonntags aufgemacht vorm großen Frühstückstisch, und da will man nicht lesen, dass der Frühstückstisch besteuert werden soll. Und drittens ist auch der Einfluss der Leser:inneschaft in Zusammenhang mit der Digitalisierung stärker geworden.

„Es haben viele entdeckt, dass es jenseits der „Leistungsträger:innen“ auch noch die Systemerhalter:innen gibt.“

Digitalisierung bedeutet hier Online-Nachrichtenportale und Social Media. Wie wirkt sich das aus?

Theine: Du kannst als Medium online minutiös nachverfolgen, wie gut deine Artikel gerade performen – wieviele Leser:innen, wieviele Klicks. Das ist grade für Themen, die gesellschaftspolitisch schwieriger sind, fast der Tod. In den Kommentaren unter den Artikeln oder auf Twitter kannst du sehen, wie gut es ankommt. Du hast diesen Spiegel vor deiner Nase und den Chef im Nacken, der dann sagt: „Nächstes Mal schreibst du das anders.“

Krainer: Ich habe den Eindruck, dass Lobbygruppen oder Think Tanks, wie die Agenda Austria, großen Einfluss auf Medien haben – und damit wiederum Politik mitgestalten. Jeder weiß, dass die Agenda Austria ein Propaganda-Institut ist, und trotzdem hat der Franz Schellhorn, der Direktor der Agenda Austria, eine Kolumne im Profil. Und wird dann stilisiert als einer der „hochkarätigen“ Berater von Kurz und Blümel, wenn es um Konjunkturmaßnahmen nach Corona geht. Neben ihm Tobias Thomas, der Direktor von Eco Austria, ein Think Tank, der von der Industriellenvereinigung finanziert wird.

Theine: Diese Think Tanks prägen dann die dominanten Narrative und Diskurse im Umfeld der Medien. Das zeigt sich auch in der Medienanalyse: Welche Akteur:innen kommen in den Artikeln zu Wort? In der Studie, bei der ich gerade mit dem Deutschland-Teil fertig bin, habe ich vor allem nach Ökonom:innen Ausschau gehalten, die in den Medien vorkommen, und habe zugeordnet aus welchen Lagern die kommen: Die marktliberalen und konservativen sind einfach viel stärker vertreten als die progressiven, linkeren. Gewerkschaften kommen schon auch durch, gerade Ver.di oder der DGB – aber die schiere Massen an konservativen, marktliberalen Verbänden, Organisationen, Think Tanks, Stiftungen, das ist einfach größer.

Ändert sich durch Corona und die Auswirkungen des Lockdowns etwas daran, wie Medien über Ungleichheit und Umverteilungsmaßnahmen berichten?

Theine: Ich würde sagen, kurzfristig ja. Es haben viele entdeckt, dass es jenseits der „Leistungsträger:innen“ auch noch die Systemerhalter:innen gibt. Es gab einen Moment, wo das auch in den Medien ganz stark war. Ich weiß aber nicht, wie nachhaltig das war. Es gibt wunderbare Berichte darüber, wie auch in den Medien sehr kontrovers über die Finanzkrise gestritten worden ist, und zwei Jahre später, in der Eurokrise, war das fast komplett vergessen. Aber ich halte recht wenig von einer einfachen Medienkritik, weil es geht eben um das Drumherum. Es geht um die Ökonom:innen, die Expert:innen, die das einfordern, die das wieder hochholen, woran sich die Medien dann auch orientieren können: „Hier, die Person hat gesagt, schuld an der Krise sind die reichen Finanzhaie und nicht die Verschuldung.“ Die Medien können nicht aus dem Nichts berichten. Und da weiß ich nicht, ob Corona wirklich nachhaltig etwas daran ändert. Aber ich hoffe es.

Zu den Personen

Hendrik Theine arbeitet als Ökonom am Institut für Heterodoxe Ökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien. 2018 erhielt er den Kurt-Rothschild-Preis für Wirtschaftspublizistik, im Jahr darauf promovierte er mit seiner Analyse der Rolle von Medien in der Diskussion zu Ungleichheit und Umverteilung. Er ist außerdem Mitglied des Young Academic Network der Foundation for European Progressive Studies.

Jan Krainer ist Abgeordneter zum Nationalrat und Budgetsprecher der SPÖ. Sein politisches Engagement begann in der Aktion Kritischer Schüler:innen und der Sozialistischen Jugend, er war außerdem in der Wiener Kommunalpolitik tätig. Im Rahmen seiner Schwerpunkte – parlamentarische Kontrollrechte, Anti-Korruption und starker Sozialstaat – ist er regelmäßig eine treibende Kraft hinter parlamentarischen Untersuchungsausschüssen.