Wie wirken die EU-Sanktionen gegen Russland?
Als Reaktion auf den Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hat die Europäische Union mittlerweile zehn Sanktionspakete gegen Russland verhängt. Ein elftes Paket ist in Vorbereitung. Mit Clara Portela, einer ausgewiesenen Expertin für Sanktionspolitik, sprachen wir Ende Mai über den Zweck und die Auswirkungen von Sanktionen im Allgemeinen und den Sanktionen gegen Russland im Speziellen. Zudem befasste sie sich mit den Veränderungen, die die rasche Abfolge von Sanktionsbeschlüssen für die EU selbst und das institutionelle Gefüge der EU mit sich bringt.
Sanktionen zu welchem Zweck?
Allgemein gesprochen sollen Sanktionen viele unterschiedliche Zwecke erfüllen, so Clara Portela. Sie sollen nicht nur zu einer Verhaltensänderung des sanktionierten Staates führen, sondern auch Partnerländer auf internationaler Ebene unterstützen, die Intensität eines Konflikts eindämmen, das Völkerrecht und die Menschenrechte verteidigen sowie oft genug auch einen Regimewechsel herbeiführen. Ihre Wirkung sollen Sanktionen vor allem auf zwei Wegen entfalten: Einerseits sollen sie die Loyalität der Eliten mit der oftmals autoritären Führung des betroffenen Staates schmälern. Andererseits sollen sie die Kriegsführung teurer machen und durch Waffen- und Technologieembargo möglichst erschweren.
Noch zu wenige Informationen aus Russland
Inwieweit die Sanktionen gegen Russland effektiv sind, lässt sich laut Portela zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum stichhaltig beantworten. Über das Budget und die Wirtschaft Russlands würden keine verlässlichen Daten vorliegen. Die russischen Eliten scheinen vorerst loyal zu sein. Portela erinnerte daran, dass jene, die gegen den Krieg aufgetreten sind, in Ungnade und zum Teil auch aus dem Fenster gefallen sind. Sanktionen, so Portela weiter, würden ihre Wirkung oft sehr langsam entfalten. Auf die Frage, ob die Russland-Sanktionen nicht kontraproduktiv für die EU seien, verwies Portela darauf, dass Sanktionen immer auch einen negativen Effekt auf die verhängende Seite hätten. Es stelle sich jedoch die Frage nach den Alternativen zu Sanktionen, wenn die EU weder selbst militärisch eingreifen noch Unrecht einfach hinnehmen wolle.
Die EU-Kommission als treibende Kraft
Die Art und Weise, wie die Sanktionsbeschlüsse zustande kommen, weisen laut Portela auch auf Änderungen im institutionellen Gefüge hin. Bis 2022 sei es der Rat, in dem die EU-Außenminister:innen der Mitgliedsstaaten vertreten sind, selbst gewesen, der Sanktionsbeschlüsse ausgearbeitet habe. Nun sei es die Kommission, die in rascher Abfolge Sanktionspakete initiiere, ausarbeite und dem Rat zum Beschluss vorlege. Im Gegensatz zu früheren Zeiten werde nun auch mehr auf die Implementierung der Sanktionen geachtet – auch hier habe die Kommission eine Schlüsselrolle, so Portela.
Impulsreferat
Clara Portela
Professorin am Institut für Verfassungsrecht und Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Valencia
Moderation
Gerhard Marchl
Karl-Renner-Institut