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Wissenschaftliche Tagung: Antisemitische und politische Netzwerke in der Zwischenkriegszeit

Welche Bedeutung hatten informelle Machtstrukturen für die Radikalisierung im Österreich der Zwischenkriegszeit? Insbesondere Männer der politischen Elite nutzten Vereine und Klubs als Drehscheiben, um antidemokratische und antisemitische Inhalte auszutauschen und durchzusetzen. In Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien organisierte das Karl-Renner-Institut eine wissenschaftliche Tagung zur Aufarbeitung dieser Netzwerke.

Der Deutsche Klub

Österreich war in der Ersten Republik geprägt von verdeckten Machtstrukturen. Diese richteten sich vor allem gegen die mit der Republikgründung einhergehenden Veränderungen in Staat und Gesellschaft. Vereine und Klubs waren Foren außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung und gerade dadurch Umschlagplätze neuer rechter Ideen. Damit wurden diese informellen Strukturen auch zu Orten der Zusammenarbeit von Christlichsozialen, Deutschnationalen und Nationalsozialisten. Zentrale weltanschauliche Klammer war dabei der politische Antisemitismus, der über Parteigrenzen hinweg die Rhetorik prägte.

Im Buch „Der Deutsche Klub. Austro-Nazis in der Hofburg“ dokumentieren Andreas Huber, Linda Erker und Klaus Taschwer die Aktivitäten des 1908 in Wien gegründeten Deutsche Klubs. Dieser entwickelte sich während seines 31-jährigen Bestehens zu einem wichtigen Treff- und Sammelpunkt von rechtskonservativen und deutschnationalen Gruppen. Spätestens mit dem Verbot der NSDAP 1933 wurde der Deutsche Klub ein wichtiger Treffpunkt für Nationalsozialist:innen.

Die Aufarbeitung der Geschichte des Deutschen Klubs verdeutlicht den großen Einfluss informeller Netzwerke auf politische Geschehnisse in der Ersten Republik und im Austrofaschismus. So waren in wichtigen Gerichtsprozessen – wie jenem gegen die rechten Schattendorf-Attentäter 1927 oder gegen den Mörder des jüdischen Schriftstellers Hugo Bettauer (1925) – sowohl Anwälte wie auch Staatsanwälte und Richter Mitglieder des Vereins oder standen ihm nahe. Auch die juridische Fakultät der Universität Wien war in der Zwischenkriegszeit stark von antisemitischen und antidemokratischen Netzwerken geprägt. Nach Kriegsende wurden die beteiligten Juristen rasch wieder in den Dienst an der Universität aufgenommen – ein wesentlicher Grund warum die Beforschung dieser Männer-Netzwerke jahrzehntelang systematisch unterlassen wurde. Antisemitismus war in der Ersten Republik allgegenwärtig, wurde aber lange Zeit durch das Konstrukt des Opfermythos verdeckt und nach 1945 nicht aufgearbeitet.

Buchpräsentation am Vorabend der Tagung: „Der Deutsche Klub. Austro-Nazis in der Hofburg.“

Netzwerkforschung als Forschungszugang

Hatten sich die historiografischen Blicke auf die Zwischenkriegszeit bislang insbesondere auf politische Parteien, Institutionen und große Persönlichkeiten konzentriert, so gerieten in den letzten Jahren auch Netzwerke stärker in den Fokus. Im Zentrum des Interesses stehen verschiedene Vereinigungen, Vereine und informelle Zirkel, die oft klandestin und unter dem Deckmantel des Unpolitischen in Österreich zwischen 1918 und 1938 agierten. Viele ihrer Mitglieder (alles Männer) verfolgten eine antidemokratische und antisemitische Agenda und das Ziel, mittels (in)offizieller Vernetzung untereinander staatliche Institutionen zu unterwandern und politische Gegner zu diffamieren. Im Rahmen der wissenschaftlichen Tagung wurden entlang von vier inhaltlichen Schwerpunkten Forschungsergebnisse präsentiert.

Zum Schwerpunkt „Netzwerke, Nutznießer, Feindbilder“ legte unter anderem Tano Bojankin (IPTS Wien) am Beispiel des Mandl-Konzerns dar, wie internationale faschistische Seilschaften bei der Umsetzung wirtschaftlicher und politischer Interessen vorgingen. Fritz Mandl, der Erbe der Hirtenberger Patronenfabrik, profitierte als Heimwehr-Mitglied vor 1938 auch wirtschaftlich von seinen politischen Kontakten. Da er nach dem „Anschluss“ als Jude galt, musste Mandl Österreich verlassen, bekam jedoch nach Abschluss des Staatsvertrages 1955 die Hirtenberger Patronenfabrik restituiert. Einfluss und Wirkmächtigkeit wirtschaftlicher Eliten und ihrer Netzwerke waren also beständig und kamen im Kontext des Kalten Krieges wieder vermehrt zum Zug. Es gibt außerdem die Vermutung, dass Mandls Exil-Sitz in Argentinien eine wichtige Drehscheibe für geflüchtete Austrofaschisten gewesen ist.

Beim Panel „Institutionen der Republik – Schnittstellen der Macht“ referierte etwa Kamila Staudigl-Chiechowitz (Universität Wien) über die Bedeutung der Universität Wien als „Cliquen-Schnittpunkt“ antisemitischer Netzwerke und politischer Seilschaften bis 1938. Zu diesen zählten in der Zwischenkriegszeit der „Deutsche Klub“ und die Geheimbünde „Deutsche Gemeinschaft“ und „Bärenhöhle“. In ihren universitären Machtpositionen strebten deren Mitglieder nach dem Ausschluss und der Diskreditierung von „Ungeraden“, sprich Juden und Jüdinnen, Freimaurern, Sozialist:innen und anderen Linken und Liberalen. Durch Disziplinarverfahren verfolgten diese Netzwerke im offiziellen Rahmen eine verborgene antisemitische Agenda. Auch außeruniversitäre Vernetzungen, die beispielsweise in das Unterrichtsministerium führten, wirkten bei den Verfahren mit.

Zum Thema „Ein bürgerliches Zentrum? Christlich, deutsch und männlich“ ergründete Florian Wenninger (AK Wien) den Charakter des Antisemitismus in der Christlichsozialen Partei. Antisemitismus ist demnach als einendes Element der Partei zu verstehen, mithilfe dessen versucht wurde verschiedene soziale Schichten anzusprechen. Die Bedeutung des Antisemitismus ging dabei jedoch über die eines Mittels zur politischen Mobilisation hinaus. Vielmehr wurde die „Judenfrage“ auch in der Christlichsozialen Partei zu einem zentralen Teil der identitätsstiftenden Programmatik.

Im Rahmen des Panels zum Thema „Legale und illegale rechtsextreme und antisemitische Netzwerke“ beschrieb Florian Ruttner (Collegium Carolinum, Prag), wie Antisemitismus in der Zwischenkriegszeit zur internationalen Netzwerkbildung genutzt wurde. So wurde mittels des 1926 herausgegebenen antisemitischen Sammelbandes „Die Weltfront“ versucht, eine grenzüberschreitende Programmatik der Antisemiten zu formulieren. Dabei wurden interessanterweise „rassische“ und explizit „nicht-rassische“ antisemitische Argumentationen vermischt und somit versucht, eine Brücke zum christlichen Antisemitismus zu schlagen. Diese Versuche weisen ideologische Ähnlichkeiten zum „Ethnopluralismus“ aktueller rechtsradikaler Bewegungen wie der „Identitären“ auf.

Video der Tagung „Antisemitische und politische Netzwerke in der Zwischenkriegszeit“ (Dauer: 9 Stunden)

Leseempfehlungen

Buch: „Der Deutsche Klub. Austro-Nazis in der Hofburg“ von Andreas Huber, Linda Erker und Klaus Taschwer (Czernin Verlag, 2020)