Aus dem Vorwort
Vor 150 Jahren waren es die Arbeiterbildungsvereine, die am Anfang der organisierten Arbeiterbewegung in Österreich standen. Zur Gründungsversammlung des "Ersten Wiener Arbeiterbildungsvereins" am 8. Dezember 1867 wurde in das Gasthaus "Zum Blauen Bock" in Gumpendorf geladen. Die Vorbildwirkung war enorm. Bis 1870 ist die Gründung von 237 Arbeitervereinen in Österreich-Ungarn dokumentiert. Ziel all dieser Vereine war neben der Bildung und Politisierung der Mitglieder auch deren soziale Absicherung durch Kranken- und Invaliditätskassen. Und in allen Veranstaltungen wurde für den Kampf für das allgemeine und gleiche Wahlrecht, für das freie Vereins- und Versammlungsrecht und die Pressefreiheit mobilisiert.
Die Einheit des Strebens nach Bildung und politischer Gerechtigkeit ist Kernelement sozialdemokratischer Politik über all die 150 Jahre geblieben.
In der Ersten Republik war es im Roten Wien, wo Otto Glöckel als Präsident des Stadtschulrats die vom Menschenbild Alfred Adlers, des Gründers der Individualpsychologie, inspirierte Schulreform konsequent umsetzte. Und auch der massive Ausbau von Einrichtungen der "Volksbildung" und der "Volksbüchereien" fällt in diese Phase. Die Erfolge der Bildungs- und Kulturarbeit im Roten Wien beruhten ganz wesentlich auf der Zusammenarbeit von gewerkschaftlichen, politischen und kulturellen Organisationen, die sich alle als Teil und Partner der Arbeiterbildungsbewegung verstanden haben.
In der Zweiten Republik wurde unter der Kanzlerschaft von Bruno Kreisky eine umfassende Reformpolitik im Bildungsbereich umgesetzt. Die Abschaffung von Barrieren für einen freien Bildungszugang, der Ausgleich der durch soziale und regionale Herkunft bedingten unterschiedlichen Startbedingungen von jungen Menschen und die Demokratisierung von Schulen und Universitäten standen im Mittelpunkt.
Heute steht die Bildungsbewegung vor großen neuen Herausforderungen. Die Ökonomisierung von Bildung in einer neoliberal geprägten Gesellschaft, die Folgen der rasanten Veränderungen in der Arbeitswelt, die Digitalisierung und die zunehmende Heterogenität unserer Gesellschaft sind nur einige Stichworte dazu. der Blick auf die Tradition, auf die grundlegenden Werte und langfristigen Ziele ist in diesen Zeiten besonders wichtig. Sie dient nicht nur der Selbstvergewisserung, sondern auch der Orientierung und Motivation für ein beharrliches und zukunftsorientiertes Engagement für Bildung, Chancen und Gerechtigkeit.