Das Jahr 1945 – Österreich zwischen Aufbruch und Verdrängung
Der Zweite Weltkrieg tobt seit September 1939. In dessen Endphase befindet sich Nazi-Deutschland in einer apokalyptischen Gewaltspirale. Der im Jahr 1943 von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels proklamierte „totale Krieg“ eskaliert die Gewalt ins Unermessliche und trifft schließlich auch den Urheber, das nationalsozialistische Regime, selbst. Der II. Weltkrieg ist der zerstörerischste und brutalste Konflikt in der Geschichte. Weltweit sterben rund 70 Millionen Menschen.
Die Herausforderungen bei der Wiedererrichtung der Republik sind vielfältig
Auf österreichischem Territorium sind die Kriegsfolgen katastrophal. Seit dem ersten Angriff auf den Rüstungsstandort Wiener Neustadt im August 1943 ist Österreich selbst unmittelbar zum Kriegsschauplatz geworden. Auch hier kann das mörderische NS-System bis zuletzt in Gang gehalten werden, wie zahlreiche Endphasenverbrechen vor allem durch militärische Einheiten zeigen: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter:innen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge werden in „Todesmärschen“ durch das Land getrieben und ermordet, Widerstandskämpfer:innen und Deserteure in letzter Minute denunziert und willkürliche Todesurteile durch Standgerichte vollstreckt.
Sowjetische Truppen erreichen am 29. März 1945 bei Kleinzicken im Burgenland ehemals österreichisches Gebiet. Die Schlacht zur Befreiung Wiens beginnt am 6. April. Drei Tage zuvor nimmt Karl Renner in Gloggnitz Kontakt mit sowjetischen Offizieren auf, um über die Wiedererrichtung der Republik zu verhandeln. Gleichzeitig residiert knapp 25 Kilometer weiter die faschistische ungarische Exilregierung im Grandhotel Panhans auf dem Semmering. Und nur 30 Kilometer entfernt errichten letzte Nazi-Schergen in Schwarzau im Gebirge ein Standgericht; es folgen unzählige NS-Endphasenverbrechen. Krieg und Frieden, Terror und Befreiung liegen nah beisammen. Diese Widersprüche prägen das Jahr 1945. Die Herausforderungen bei der Wiedererrichtung der demokratischen Republik sind 1945 vielfältig. Ein gespaltenes und zerstörtes Land muss politisch befriedet, eine katastrophale Versorgungskrise bewältigt und demokratische Strukturen geschaffen werden. Die Kriegsfolgen und die Verbrechen des NS-Regimes lasten schwer auf der Republik. Die Fundamente der Erfolgsgeschichte Österreich werden gelegt, dessen historische Mitverantwortung an Krieg und Shoah jedoch verdrängt.
Sonderaustellung im Karl-Renner-Museum
Anlässlich des Jubiläums 80 Jahre Zweite Republik wird im Karl-Renner-Museum in Gloggnitz eine Sonderausstellung gezeigt: Das Jahr 1945 – Österreich zwischen Aufbruch und Verdrängung
Der Kurator der Ausstellung, Michael Rosecker, stellt zunächst die globale, europäische und lokale Ausgangssituation zu Jahresbeginn dar.
Geschichte Lernen. Politik verstehen.
Auf diese Weise soll der komplexe Rahmen der Wiedererrichtung der Republik vorgestellt werden: die Zerstörung und der Wiederaufbau der Wirtschaft, die Traumata der Weltkriegsjahre, die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und Mitverantwortung an den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes, insbesondere der Beteiligung an der Shoah, und schließlich die Rolle Österreichs zwischen den sich neu formierenden Blöcken Ost und West. Ebenso folgt die Schau dem Slogan des Karl-Renner-Museums: Geschichte lernen. Politik verstehen.
Mit dieser Ausstellung möchten das Karl-Renner-Museum nicht nur historisches Wissen vermitteln, sondern auch dafür sensibilisieren, wie sehr Politik, gerade in krisenhaften Zeiten, gefordert ist, Verantwortung zu übernehmen, Alltagsprobleme zu lösen, Kompromisse zu suchen und positive Zukunftsbilder zu vermitteln. Die Zweite Republik wurde in einem Spannungsfeld zwischen Aufbruch und Verdrängung sowie zwischen Kompromiss und Konfrontation gegründet.
Kurator & wissenschaftlicher Leiter des Karl-Renner-Museums
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