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Ein klimafreundliches Erwerbsleben: Welche Strukturen braucht das?

Erneut liegt hinter uns ein Sommer voller Extremwetterereignisse und Temperaturrekorde; ein Sommer, der hartnäckig den offiziellen Herbstbeginn ignoriert. Manche finden den Umgang mit der immer deutlicher zunehmenden Erderhitzung darin, dieses Thema zu leugnen oder zu ignorieren; manche protestieren für effektive Klimapolitik; viele versuchen, in ihre Alltagsentscheidungen ökologische Überlegungen miteinzubeziehen. Dabei ist es in Österreich momentan gar nicht so einfach, ein klimafreundliches Leben zu führen, wie ein neuer Bericht der österreichischen Klimaforschung feststellt:

In den meisten Lebensbereichen, von Arbeit über Mobilität und Wohnen bis hin zu Ernährung und Freizeitgestaltung, fördern bestehende Strukturen klimaschädigendes Verhalten und erschweren klimafreundliches Leben.

apcc Special Report, Seite 1

Um als Gesellschaft unsere Treibhausgasemissionen zu reduzieren, ist es folglich keine besonders gute Strategie, wenn wir in erster Linie moralisierend den Zeigefinger auf individuelle Menschen und deren Konsumentscheidungen richten. Vielmehr muss die Aufmerksamkeit darauf liegen, jene Strukturen zu verändern, innerhalb derer wir alle uns bewegen, unsere Entscheidungen treffen, unser Verhalten gestalten. Strukturen: Das bedeutet hier sowohl physische Rahmenbedingungen wie Straßen und Schienen, Häuser und Stromnetzwerke, als auch immaterielle Strukturen wie Gesetze und Machtverhältnisse, Werte und Denkmuster.

Ernest Aigner vom Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit der Gesundheit Österreich GmbH koordinierte den apcc Special Report. Bei einer Lunch Lecture im Karl-Renner-Institut zeigte er, wie wichtig eine Veränderung der Strukturen ist, innerhalb derer unser Alltagsleben stattfindet: Aktuell produziert unser Konsum sehr viele Treibhausgase. Ein großer Anteil dieser Treibhausgase wird aber nicht in Österreich ausgestoßen, sondern in anderen Ländern, und wird daher in Berechnungen oft ignoriert. Das Leben in Österreich ist also noch klimaschädigender als gemeinhin angenommen.

Im Fokus: Erwerbsarbeit

Ein zentrales Handlungsfeld für die (Um-)Gestaltung von Strukturen in unserer Gesellschaft ist Erwerbsarbeit: Immerhin verbringen Menschen, die einer bezahlten Arbeit nachgehen, einen großen Teil ihrer Zeit und Energie dort; der Job bestimmt das Einkommen und hat auch einen großen Einfluss darauf, wann und wie wir unsere Freizeit gestalten können; außerdem ist er ein wichtiger Baustein für die eigene Identität und den gesellschaftlichen Status. Wenn es um Rahmenbedingungen und Verhältnisse geht, die unser Leben strukturieren, ist Erwerbsarbeit sehr zentral.

Erwerbsarbeit ist eines von sechs Handlungsfeldern, mit denen sich der Bericht beschäftigt. In dem Kapitel gehen die Autor:innen der Frage nach, welche Strukturbedingungen es braucht, um ein klimafreundliches Leben sowohl innerhalb als auch außerhalb von Erwerbsarbeit zu ermöglichen.

Johanna Hofbauer, Soziologin an der Wirtschaftsuniversität Wien, ist Hauptautorin des Erwerbsarbeit-Kapitels im apcc Special Report. Sie präsentierte bei der Lunch Lecture im Karl-Renner-Institut mehrere Möglichkeiten, wie Erwerbsarbeit so strukturiert werden kann, dass sie ein klimafreundliches Leben ermöglicht. Ein zentraler Baustein um Treibhausgase und Rohstoffverbraucht zu verringern: Arbeitszeitverkürzung.

Arbeitszeitverkürzung

Studien zeigen, dass gesamtwirtschaftlich gesehen längere Arbeitszeiten zu einem höheren Umweltverbrauch führen – eine Berechnung legt sogar eine Arbeitszeitverkürzung in OECD-Ländern auf durchschnittlich sechs Stunden pro Woche nahe, um ein nachhaltiges CO2-Budget zu erreichen. Wie ökologisch wirksam eine Arbeitszeitverkürzung ist, ist natürlich je nach Branche unterschiedlich. Dennoch: Sie ist jedenfalls eine wichtige Maßnahme, um bei steigender Produktivität den Druck zu verringern, dass die Wirtschaft ständig wachsen muss:

Bei steigender Arbeitsproduktivität ist Wirtschaftswachstum notwendig, um eine Zunahme der Arbeitslosenzahlen zu vermeiden. Alternativ könnte die Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse durch eine Arbeitszeitverkürzung konstant gehalten werden, ohne dass zusätzliches Wachstum notwendig wäre.

apcc Special Report, Seite 297

Öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen

Eine ganz grundsätzliche Überlegung ist, welche Wirtschaftsbereiche (und damit auch welche Jobs) dazu beitragen, grundlegende menschliche Bedürfnisse zu befriedigen – und welche Wirtschaftsbereiche im Gegensatz dazu zwar zur Erderhitzung, aber nicht zu menschlichem Wohlergehen beitragen. Diese Überlegung führt schnell zu dem Ergebnis, dass vor allem die sogenannte Rentenökonomie, sowie auch die ressourcenintensivsten Teile der Marktwirtschaft schrumpfen müssen, während die Grundversorgung ausgebaut werden muss, also Daseinsvorsorge und Nahversorgung.

Dafür sind Investitionen in öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen notwendig – und sie zahlen sich aus, denn damit können gleich drei zentrale Ziele erreicht werden: klimafreundliche Beschäftigung stärken, gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigen, sowie eine sozial verträgliche Transformation gewährleisten.

Berufliche Bildung und Weiterbildung

Um die Wirtschaft insgesamt, und damit auch Erwerbsarbeit, klimafreundlicher zu machen, wird es nötig sein, und einen „grünen Strukturwandel“ der Wirtschaft voranzutreiben. Das bedeutet einerseits, dass erneuerbare Energieträger ausgebaut und Kreislaufwirtschaft gestärkt werden müssen, andererseits aber auch, dass klimaschädliche Industriearbeit ab- oder zumindest umgebaut werden muss. Das wiederum führt zu Veränderungen bei Berufsbildern und Qualifikationsprofilen. Hier braucht es gut durchdachte Weiterbildungsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass etwa Industriearbeiter:innen ihre Jobs nicht verlieren, und gleichzeitig die notwendigen Fachkräfte für die Energiewende verfügbar sind.

Betriebliche Mitbestimmung

Veränderungen in der Erwerbsarbeit können zu Verunsicherung und zu einer Abwehrhaltung bei den Beschäftigten führen. Fallstudien zeigen, dass die Beschäftigten vor allem dann für solche Veränderungen bereit sind, wenn sie durch betriebliche Mitbestimmung bzw. über den Betriebsrat in diese Entscheidungen einbezogen werden und diese mitgestalten können.

Mitarbeiter:innen kennen außerdem ihren Arbeitsbereich besonders gut und sind daher oft besonders gut darin, neue Ideen und Innovationen für Produkte und Prozesse zu entwickeln, die zur Dekarbonisierung beitragen können. Worker Cooperatives oder andere Formen der demokratischen Gestaltung von Unternehmen ermöglichen es den Beschäftigten, sich damit auseinander zu setzen, welche Klima- und Umweltauswirkungen ihre Tätigkeiten haben.

Weil von Arbeitnehmer:innen geführte Unternehmen keinen externen Stakeholdern verpflichtet sind und einen Fokus auf die Bedürfnisbefriedigung ihrer Beschäftigten sowie der lokalen Community legen können, ist es diesen Unternehmen eher möglich, aus der Wachstumslogik konventioneller Unternehmen auszusteigen.

apcc Special Report, Seite 299

Umweltfreundliche & kreislaufwirtschaftliche Produktion

Auf der Suche nach einer Möglichkeit, Wirtschaftswachstum doch mit Umweltverträglichkeit zu vereinbaren, treibt die EU das Modell der Kreislaufwirtschaft voran. Hier geht es vor allem darum, Abfall zu reduzieren und knappe Ressourcen besser zu nutzen, Transportwege zu verkürzen und durch Reparatur die Lebensdauer von Produkten zu verlängern. All das verringert nicht nur die Umweltbelastung, sondern setzt auch ökonomische Anreize für Unternehmen.

Zum Nachlesen

Das Austrian Panel on Climate Change (apcc), wurde 2014 in Anlehnung an das International Panel on Climate Change (ipcc) gegründet. Renommierte Wissenschaftler:innen der österreichischen Klimaforschungsgemeinschaft tragen unter dem Dach des apcc in regelmäßigen Abständen den aktuellen Stand der Forschung zum Klimawandel in Österreich zusammen.

Am apcc Special Report „Strukturen für ein klimafreundliches Leben“ haben mehr als 80 Wissenschafter:innen über 3 Jahre lang gearbeitet und 2.000 Studien und Analysen systematisch gesichtet; er erschien im September 2023. Der Bericht kann als Hardcover Buch erworben, oder auch kostenlos heruntergeladen werden; auf der Projekthomepage finden sich alle Informationen, sowie die einzelnen Kapitel zum Download.

Ernest Aigner und Johanna Hofbauer haben den Bericht, mit Fokus auf das Kapitel zu Erwerbsarbeit, bei der Lunch Lecture „Nachhaltig arbeiten: Was ist das, wie geht das, und warum überhaupt?“ am 5. Oktober 2023 im Karl-Renner-Institut präsentiert. Ihre Präsentationen können hier heruntergeladen werden: