Wie rechte Bewegungen die „Krise der Männlichkeit“ strategisch nutzen
Der Aufstieg rechts-autoritärer Parteien ist rund um die Welt erkennbar: Gerade wurde Javier Milei in Argentinien zum Präsidenten gewählt, Donald Trump wird möglicherweise wieder Präsidentschaftskandidat in den USA, in Italien gibt es mit Giorgia Meloni eine postfaschistische Regierungschefin, und auch in den Niederlanden hat der rechte Geert Wilders die Wahl gewonnen. Mit diesem düsteren Rundblick begannen die Politologin Birgit Sauer und der Soziologe Otto Penz die Präsentation ihres Buches „Konjunktur der Männlichkeit – Affektive Strategien der autoritären Rechten“ bei der Lunch Lecture im Renner Institut.
Im Buch untersuchen sie rechts-autoritäre Parteien und Bewegungen in Deutschland und Österreich anhand von autobiographischen Büchern rechter Politiker:innen, Parteiprogrammen, Internetauftritten und Reden. Sie fragen danach, wie diese Bewegungen die Vorstellungen und Gefühle rund um Männlichkeit, bzw. rund um Gender und Sexualität, verwenden, um Anhänger:innen und Wähler:innen zu gewinnen.
Warum Männlichkeit?
Warum stellen sie dabei Geschlecht ins Zentrum, wenn doch das Kernthema der Rechten vielmehr Migration ist? Wie sie zeigen, geht es bei rechter Rhetorik eben nicht nur um Migration, sondern um Angst vor dem Fremden insgesamt, und damit auch vor Homo- und Transsexuellen, sowie vor der Emanzipation von Frauen. Diese Entwicklungen stellen im rechten Weltbild eine Bedrohung von Identität dar, sowohl von nationaler- wie auch von Geschlechter-Identität. Rechts-Autoritäre schließen sich dabei zusammen mit anderen Teilen der weltweiten Anti-Gender-Bewegung, die rund um die Jahrtausendwende vom Vatikan ausging.
Männer – genauer gesagt, weiße Männer – werden dabei als zentrale Opfergruppe ausgemacht: als Opfer von Gleichstellungspolitik, die Frauen bevorzuge; als Opfer von zunehmender Konkurrenz mit Frauen am Erwerbsarbeitsmarkt; als Opfer von Reformen im Familien- und Scheidungsrecht, die dem Mann die Rolle des Familienoberhaupts und die Autorität über Frau und Kinder nehmen; als Opfer des Schulsystems, in dem ein feminisierter Unterricht Buben unterdrücke; als Opfer von Gewaltschutzgesetzen, die alle Männer unter Generalverdacht stellten; als Opfer einer zunehmenden Akzeptanz anderer Sexualitäten, die „normale“ Männer alt aussehen lässt.
Warum funktioniert das Bedrohungsszenario?
Rechte Politiken, so eine zentrale These im Buch, sind heute deshalb so erfolgreich, weil sie auf den unbearbeiteten Problemlagen des Neoliberalismus aufbauen. Birgit Sauer und Otto Penz stimmen also nicht mit jenen Analysen überein, die ein Vordringen recht Politik vom Rand in die Mitte der Gesellschaft nachzeichnen. Vielmehr beschreiben sie, dass es vor allem Parteien der Mitte waren und sind, die in den vergangenen Jahrzehnten neoliberale Politik betrieben, also den Wohlfahrtsstaat abgebaut, das Soziale ökonomisiert, Arbeitsverhältnisse prekarisiert haben.
Die Gefühlslandschaft, die durch diesen neoliberalen Umbau von Staat und Gesellschaft dominant wurde, ist geprägt von (Zukunfts-)Ängsten vor sozialem Abstieg, von Verunsicherung durch drohenden Jobverlust und mangelnde soziale Absicherung, von Scham aufgrund der eigenen Unmöglichkeit, eine erfolgreiche „Leistungsträgerin“ zu sein. Dazu kommen weitere große Krisen wie der „Krieg gegen den Terror“ seit 2001, die Finanzkrise 2008, die Migrationsbewegungen 2015, die Pandemie 2020 und schließlich der Energiepreisschock 2022, sowie erhebliche Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen und die grundlegende Infragestellung des bürgerlich-patriarchalen Familienmodells.
„Das Versprechen der autoritären Rechten heißt Handlungsfähigkeit, besonders Kontrolle über das eigene Leben in einer Zeit, in der diese den Menschen durch den neoliberalen Gesellschaftsumbau entzogen wurde.“
Was sind affektive Strategien?
Diese von Unsicherheit und Krisen geprägte Gefühlslandschaft ist der Boden, auf dem die affektiven Strategien rechts-autoritärer Parteien und Bewegungen gedeihen können. Rechte Gefühlspolitik bearbeitet diesen Boden mithilfe von Antagonismen, also Gegensätzen: Zwischen „uns“ und „den anderen“ – diese umfassen sowohl Migrant:innen als auch LGBTIQ-personen –, sowie zwischen dem Volk und der korrupten Elite in Politik, Medien und Wissenschaft.
Diese Antagonismen sind moralisch aufgeladen, es geht also nicht um richtig oder falsch, sondern um gut gegen böse. In Anlehnung an den britischen Soziologen Stuart Hall beschreiben Birgit Sauer und Otto Penz eindrucksvoll, wie rechte Parteien vor diesem Hintergrund eine „moralische Panik“ rund um das Verschwinden traditioneller Männlichkeit und den damit verbundenen Identitäts- und Kontrollverlust heraufbeschwören; wie es ihnen gelingt, Veränderungen so zu deuten, dass sie diese Gefühle in Wut und Zorn umwandeln; wie sie die Hoffnung auf einfache Lösungen für ihr politisches Projekt eines autoritären Staates kanalisieren.
Die Bezeichnung „autoritäre Rechte“ verwenden die Autor:innen, um die antidemokratischen Zielsetzungen dieser Parteien und Bewegungen hervorzuheben. Sie sehen dabei mit Verweis auf Analysen von Ruth Wodak und Natascha Strobl auch Gemeinsamkeiten mit den Ideen, Zielen und Politiken einiger konservativen Parteien: Es geht unter anderem um die Abschaffung eines unabhängigen Rechtssystems (siehe zB Polen und Israel) und einer unabhängigen Presse (siehe zB Ungarn und Russland); insgesamt um die Ersetzung einer demokratischen Politik durch eine Politik des starken Mannes.