Einleitung
Der Sommer ist angebrochen und wir hatten etwas zu feiern. Als Institut gibt es uns seit 50 Jahren, und die Frauenakademie als Lehrgang besteht seit 20 Jahren. Solche Anlässe lassen wir nicht verstreichen, bilden uns weiter, feiern und pflegen den Austausch. Und den braucht es ganz dringend, wie progressive Entwicklungen in Spanien und Rückschritte in den USA zeigen. „Aus taktischen Gründen leiser zu treten hat sich noch immer als Fehler erwiesen“, betonte die erste Frauenministerin Österreichs, Johanna Dohnal. Die Erinnerung an ihr bahnbrechendes Wirken wiederum macht das frauenpolitische Vakuum in Österreich umso deutlicher sichtbar. Dabei gäbe es viel zu tun. Wo ist der Mut, Veränderungen anzugehen, der Mut zum Unvollendeten, den Schritt in die richtige Richtung zu setzen, wie Eva Menasse in ihrer Bruno-Kreisky-Preisrede festhält. Wie können Verteilungsfragen und Klimapolitik zusammengedacht werden und worauf ist dabei zu achten?
Auf diese Fragen versuchen wir im aktuellen FemLetter erste Antworten zu finden und wünschen einen erholsamen Sommer, der es erlaubt, sich auch derart grundsätzlichen Fragen zu widmen.
Wir sind gefordert, wir tun unser Bestes. Bleibt gesund und laut!
Barbara Hofmann
„20 Jahre Frauenakademie – Frau.Macht.Bildung“ (Fr., 29. April 2022)
Bilden und Feiern, das war die Devise des 20-jährigen Jubiläums der Frauenakademie, und wir haben es genossen! Gemeinsam mit Vertreter:innen aus Politik und Wirtschaft, mit Wegbegleiterinnen und Teilnehmerinnen wurde gefeiert und gleichzeitig der Ausblick gewagt. Wo steht Österreich frauenpolitisch? Wie geht es weiter beim Recht auf Abtreibung, beim Recht auf Schutz vor Gewalt oder beim Recht auf ökonomische Unabhängigkeit? Wer nicht dabei war, kann hier Eindrücke von der Veranstaltung gewinnen.
Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch 2021 – „Österreich: Wie sind wir?“ (Mi., 1. Juni 2022)
Die wichtigen Dinge anpacken, selbst wenn man noch nicht weiß, wie es ausgehen wird. Vom Mut zum Unvollendeten und vom Mut zur Veränderung spricht die heurige Bruno-Kreisky-Hauptpreisträgerin Eva Menasse in ihrer fesselnden Preisrede und gibt Einblicke, wie sie Österreich versteht und was sie an Bruno Kreisky so beeindruckend findet.
Im Zentrum: „Österreich in der Teuerungskrise – Welche Hilfen sind gerecht?“ (So., 19. Juni 2022)
Was sind nötige Hilfen in Zeiten der Teuerung und wo soll und kann hier angesetzt werden? Diese Fragen hat eine fünfköpfige Expertinnenrunde beim ORF-Format „Im Zentrum“ ausführlich erörtert und die unterschiedlichen Positionen klar und fundiert herausgearbeitet. Thema war die Valorisierung der Sozialleistungen, Einmalzahlungen versus Planungssicherheit von armutsgefährdeten Personen und die Möglichkeit, Preisdeckel auf lebensnotwendige Güter zu setzen. Bitte mehr davon!
Triumph der Frauen. Das weibliche Antlitz des Rechtspopulismus und -extremismus in ausgewählten Ländern
Die FPÖ hatte in den beiden letzten Dekaden immer wieder die Möglichkeit, sich an der Regierung zu beteiligen. Eine wissenschaftliche Analyse zu ihrem Frauenbild streicht die Grundzüge heraus: Partnerschaftliches Zusammenleben ist auf die heteronormative Kleinfamilie beschränkt, traditionelle Arbeitsteilung kann ob biologischer Voraussetzungen die einzig richtige Lösung sein. Dass das einer progressiven Frauenpolitik diametral entgegensteht, versteht sich von selbst. Umso wichtiger ist das Ziel dieser Studienreihe, antidemokratische Entwicklungen im Blick zu behalten und laufend zu ergänzen.
Diversität, Verteilung und Klimapolitik zusammendenken
Wer ist drinnen, wer ist draußen, und unter welchen Bedingungen? Krisen heben diese Ungleichheiten wie unter einem Brennglas stärker hervor. In einem spannenden Gespräch über bewusste oder unbewusste Grenzziehungen diskutieren die Forscherin Laura Dobusch und der Nationalratsabgeordnete Mario Lindner Auswirkungen der Klimakrise und das Zusammenspiel von Sozialpolitik und Diversitätspolitik. Wie können Organisationen und Staaten inklusiver gestaltet werden und gleichzeitig positive Auswirkungen auf das Klima haben?
Frauen in der Gemeindepolitik
Zwei spannende Studien zu Frauen in der Gemeindepolitik wurden heuer präsentiert. Einerseits der Gleichstellungsindex 2021 des SORA-Instituts und des Österreichischen Städtebundes. Bis auf Gemeindeebene wurden hier Daten zur Gleichstellung erhoben. Und nachdem wir wissen, dass Geschlechtergerechtigkeit nur gelingen kann, wenn strukturelle Rahmenbedingungen wie eine ausreichende Kinderbetreuungsstruktur oder gute öffentliche Anbindung vor Ort passen, hilft der Gleichstellungsindex weiter. Einen guten Eindruck zur Denkweise in der Kommunalpolitik liefert andererseits eine Analyse der FH Kärnten und des Gemeindebundes. Befragt wurden über 2.000 Bürgermeister:innen aus ganz Österreich und die beste Frage gab es zum Schluss: "Wie teilen Sie sich die Haus- und Familienarbeit auf?" Das Ergebnis passt gut in das österreichische Gesamtbild: Bei 60 % der Bürgermeister übernimmt der/die Partner:in den Großteil. Bei den Bürgermeisterinnen sind es lediglich 12 %.
„Selektioniertes Leben – Eine feministische Perspektive auf die Eizellenspende“, Laura Perler
Ihre Meinung muss man nicht teilen, aber spannende Aspekte versammelt die Autorin in diesem Buch zur Eizellenspende in jedem Fall. Sie beschreibt es als Weben und hat viele unterschiedliche Eindrücke sehr selbstreflexiv verarbeitet – ob visuelle, auditive oder persönliche, ob gesetzliche oder historische Einordnungen oder Exkurse in die feministische Theorie dazu. Sie gibt tiefe Einblicke in die Reproduktionsmedizin und wie Vorreiterländer wie Spanien hier vorgehen. Eine für sie zentrale Forschungsfrage gleich zu Beginn: „… inwiefern führt auch Kritik statt zu grundlegenden Veränderungen einfach zu einer Verfeinerung des kapitalistischen Systems?“ Das Buch ist auch als Open Access Publikation verfügbar.
„The Turnaway Study“, Diana Greene Foster
Die Auswirkungen einer ungewollten Schwangerschaft auf das Leben von Frauen wurde in dieser Langzeitstudie in Amerika an 30 Einrichtungen von einem Forscher:innenteam aus unterschiedlichen Disziplinen untersucht. Über fünf Jahre hinweg begleiteten die Forscher:innen Frauen, die eine gewünschte Abtreibung vornehmen lassen konnten und Frauen, denen eine gewünschte Abtreibung verwehrt blieb, weil die Schwangerschaft bereits ein paar Tage oder wenige Wochen zu weit fortgeschritten war. Und sie räumen mit vielen Vorurteilen auf. Es ist und bleibt eine Frage des Zugangs zu Verhütungsmitteln, ob es zu ungewollten Schwangerschaften kommt. Wenn Frauen es nicht innerhalb der Frist zu Abtreibungseinrichtungen schaffen, haben sie oft zu spät realisiert, dass sie schwanger sind. Dass die Aufhebung von Roe vs. Wade wieder Generationen politisieren wird, hält die Autorin 2021 im Nachwort fest. Diese Entscheidung nimmt vielen Frauen nicht nur ihre Autonomie über ihren eigenen Körper, sondern über ihr ganzes Leben: über ihre finanzielle Unabhängigkeit, die Möglichkeit, gut für ihre anderen Kinder sorgen zu können oder in einer guten Beziehung zu leben.
„Für alle, die hier sind“, Faika El-Nagashi, Mireille Ngosso
Was hat die beiden Autorinnen motiviert, politisch aktiv zu werden? Welche Schlüsselerlebnisse hatten sie in ihrem persönlichen und politischen Leben? Wie analysieren sie politische Auseinandersetzungen und was war und ist ihre Rolle? Diese Fragen beantworten die beiden Politikerinnen in einem kurzweilig gestalteten Buch. Roter Faden im Buch ist, was sie verbindet – ihr Bewusstsein für Ungerechtigkeiten und die intrinsische Motivation, die Gesellschaft zu verändern.
Twitter-Tipp: @designmom
Liegen die Prioritäten bei der Verhütung richtig? Einen unterhaltsamen wie spannenden, wenn auch schon etwas älteren, Twitter-Thread (mit 63 Tweets) gab es dazu von Gabrielle Blair, einer Mormonin, die nochmal klarstellt: Es liegt nicht an den Frauen, dass es Abtreibungen braucht, egal wie sie ihr Leben leben.
Film-Tipp: Nicht die Regel
Laut der Stiftung Endometriose-Forschung erkranken etwas 7-15 % der weiblichen Bevölkerung an Endometriose, gleichzeitig vergehen vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnose Jahre. In der ersten deutschsprachigen Dokumentation „Nicht die Regel“ zum Thema schafft die Filmemacherin Ranya Schauenstein Bewusstsein für diese Krankheit.
Musik-Tipp: Suli Puschban
Die Nische in der Nische der Kinderliedermacher:innen füllt Suli Puschban. Ihre Lieder sind feministischen Werten verbunden und bieten Mädchen alternative Rollenbilder an, feiern ihre Abenteuerlust und ihr Authentischbleiben.