Kurt Rothschild Preis 2021: Mut zum aktiven Staat!
Bereits zum sechsten Mal verliehen das Renner-Institut und der SPÖ-Parlamentsklub Anfang Dezember den Kurt Rothschild Preis für Wirtschaftspublizistik. Hauptpreisträgerin Mariana Mazzucato forderte in ihrer Preisrede einen aktiven Staat, der sich mit Nachdruck und Begeisterung daran macht, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen – von Klimakrise bis Ungleichheit. Der Preis stärkt Forschung und Wissenschaftskommunikation, die relevante Ergebnisse erzielt indem sie ökonomische Fragestellungen in einen breiten Kontext stellt, statt neoklassische Glaubenssätze zu reproduzieren.
Doris Bures, Präsidentin des Renner Instituts, attestierte in ihrer Eröffnungsrede, dass gerade vor dem Hintergrund der Corona-Krise neoliberale Markttheorien wenig geeignet zur Bekämpfung der gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen seien: „Unsere Gesellschaft steht vor neuen und sehr schweren Herausforderungen. Nicht nur in der Gesundheit, auch im Zusammenhang mit der neuen Arbeitswelt – Stichwort Digitalisierung – sind Heilserwartungen an den Markt mehr als deplatziert.“ Das gelte, so Bures weiter, auch für die Wirtschaftswissenschaften. Gerade der Kurt Rotschild Preis lenke sein Augenmerk auf jene Positionen, die abseits vom neoliberalen Mainstream neue Wege zeigen.
Der Vorsitzende der Jury, Jakob Kapeller, Professor an der Universität Duisburg-Essen, wies in seinem Statement auf die Auswahlkriterien bei den Preisvergaben hin: „Neben den wissenschaftlichen Qualitätsstandards achten wir auf einen praxisrelevanten und offenen Zugang der Forschung.“ Das Ziel des Preises ist es, verschiedene Sichtweisen nicht nur zu benennen, sondern auch einzufordern.
Mariana Mazzucato: „Innovation muss gestaltet werden“
Die Hauptpreisträgerin Mariana Mazzucato legte in ihrer Preisrede dar, warum unsere Gesellschaft vielfach ein Problem mit Werten an sich hat und sich oft viel zu sehr an bisherige Theorien klammert, anstatt in die Zukunft zu blicken. Das führe dazu, ist Mazzucato überzeugt, dass viele Länder schlecht auf Krisen vorbereitet sind – wie es auch die aktuelle Pandemie zeige. „Ein großes Problem unserer Gesellschaft ist Ungleichheit. Es hat offenbar einer Krise bedurft, um dies zu erkennen. Durch die Pandemie hat sich etwa die Digitale Kluft erweitert. Die Lockdowns haben die Ungleichheit in der Bildung gesteigert. Und wir sehen, dass wir viel zu wenig auf den Klimawandel vorbereitet sind. Fazit: Wenn der Markt versagt, muss der Staat einsteigen. So kann es aber nicht bleiben. Wir müssen einen Umstieg und einen Wandel schaffen und die Prozesse so gestalten, dass sie von Beginn an im Sinne des Gemeinwohls sind. Ich möchte zeigen, dass auch in der Ökonomie anders gedacht werden kann“, so Mazzucato, die am Beispiel der Mondflüge der NASA ihre Theorie von einer funktionierenden Public-Private Partnership mit einem Gemeinwohl-Anspruch, darlegte.
„Der öffentliche Sektor muss eine Mission haben, die auf die positive Weiterentwicklung der Gesellschaft mit ganz konkreten nachhaltigen Entwicklungszielen abzielt. Innovation muss gestaltet werden, und zwar nicht nur in einzelnen Sektoren, sondern insgesamt als kollektives Ziel. Wichtig dabei ist, die Investitionen ergebnisorientiert zu tätigen und immer den Bürger und die Bürgerin im Auge zu haben. Politik muss das tägliche Leben verbessern. Nämlich das verbessern, wie wir wohnen, wie wir arbeiten und was die Mahlzeiten unserer Kinder sind. Das ist schwierig genug - noch schwieriger als auf den Mond zu fliegen - aber wir müssen die Herausforderung annehmen“, resümierte die Ökonomin.
Pamela Rendi-Wagner: „Der Staat muss selbst zum Visionär werden"
Pamela Rendi-Wagner, Vorsitzende der SPÖ und des SPÖ-Klubs, betonte in ihrer Laudatio auf Mariana Mazzucato, dass gerade die Corona-Krise spürbar gemacht habe, wie wichtig ein funktionierender Staat sei: „Wir können stolz sein auf unsere staatlichen Strukturen, auf unseren Sozialstaat, aber auch auf staatliche Investitionen. Der Staat ist oft Triebfeder von sozialem und technischem Fortschritt. Diese Aufgabe hat er auch wahrzunehmen, nämlich indem er Werte für eine Gesellschaft schafft. Genau dies zeigt das Werk der Hauptpreisträgerin Mazzucato. Sie analysiert klar und scharf, wie schädlich neoliberale Dogmen für die Gesellschaft sind. Mazzucato belässt es aber nicht nur bei der Analyse, sondern mischt sich in die öffentliche Debatte ein. Und genau das braucht es auch“, so die SPÖ-Klub- und Parteivorsitzende.
Ein wichtiger Begriff sei in diesem Zusammenhang, so Rendi-Wagner weiter, der Wert der Arbeit für eine Gesellschaft. „In der Pandemie wurden und werden von jenen Systemerhalter:innen die wichtigsten Arbeiten geleistet, die gleichzeitig den niedrigsten Lohn und die schwersten Arbeitsbedingungen haben. Es sind das beispielsweise die Pfleger*innen oder die Erntehelfer*innen“, erläutert Rendi-Wagner und weiter: „Dieses Ungleichgewicht muss aufgezeigt und bekämpft werden.“
Emmerich Tálos: „Die Pandemie zeigt, wie wichtig der Sozialstaat ist“
Zum ersten Mal wurde in diesem Jahr auch ein Kurt-Rothschild-Preis für ein Lebenswerk vergeben, nämlich an Emmerich Tálos. Er erhielt den Lebenswerk-Preis für seine Analysen zu Sozialpolitik, Sozialstaat und Sozialpartnerschaft. In ihrer Laudatio betonte die Direktorin des Renner Instituts, Maria Maltschnig: „Emmerich Tálos ist quasi Gesicht und Stimme der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Sozialstaat. Seine Auseinandersetzung mit dem Sozialstaat geht auch immer einher mit einem starken Plädoyer dafür.“ Der Sozialstaat ist laut Maltschnig „eine der größten Zivilisationsleistungen, die wir kennen.“
Emmerich Tálos, emeritierter Professor für Politikwissenschaften an der Universität Wien, selbst zeigte sich in seinem Statement geehrt: „Ich habe Kurt Rotschild sehr geschätzt und deshalb freut mich die Auszeichnung umso mehr. Aber auch weil gerade die Pandemie und die unterschiedlichen Auswirkungen zeigen, wie wichtig der österreichische Sozialstaat und als ein Teil davon ein funktionierendes Gesundheitssystem ist.“ Tálos ortete aber auch Veränderungsbedarf: „Gerade im Bereich der Arbeitslosenversicherung brauchen wir eine Weiterentwicklung. Die Nettoersatzrate von 55 Prozent führt bei vielen dazu, dass die Armut vor der Tür steht. Deshalb braucht es eine Anhebung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent. Das löst zwar nicht jedes Problem, aber es wäre sehr wichtig.“
Tamara Ehs, Martina Zandonella: „Es ist eben nicht egal, wer für die Krise bezahlt“
Neben dem Hauptpreis und dem Lebenswerk-Preis wurden auch vier weitere Preise an Wissenschafter:innen vergeben, die nicht nur exzellente Forschung betreiben, sondern sich auch in die politische Debatte einbringen.
Tamara Ehs (Universität Wien) und Martina Zandonella (SORA) erhielten den Kurt-Rothschild-Preis für ihre Arbeiten zu „Demokratie in der (Corona)-Krise. Die Auswirkungen von sozialer Ungleichheit auf die Demokratie“. Sie konnten leider krankheitsbedingt nicht an der Preisverleihung teilnehmen. Der Juryvorsitzende Jakob Kapeller gratulierte ihnen in seiner Laudatio für ihren Beitrag zur Beschreibung gesellschaftlicher Zukunftsherausforderungen: „Es ist das Verdienst der Preisträgerinnen, den Nachweis einer doppelten Krise der Demokratie, die einerseits immer größere Personengruppen ignoriert und zugleich sukzessive an Vertrauen verliert, auch für Österreich erbracht zu haben.“
Stefan Jestl, Emanuel List: „Ungleichheit wird nur unzureichend erfasst“
Stefan Jestl (wiiw) und Emanuel List (WU Wien) wurden für ihre Analysen zu „Ungleichheit und Umverteilung während der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise in Österreich – Neue Sichtweisen und Beiträge zur Diskussion“ mit dem Kurt-Rothschild-Preis ausgezeichnet. Jakob Kapeller zollte in seiner Laudatio den beiden Ökonomen Anerkennung für ihre „heroische Leistung“, die „einen ganzheitlichen Einblick in die österreichische Einkommensverteilung in bisher ungekannter Tiefe erlaubt“.
Im Gespräch erklärten die Forscher, dass die Datenqualität in Österreich relativ schlecht ist, insbesondere wenn es um die Erfassung von Kapitaleinkommen geht. Verbessert man diese Datengrundlage, so zeigt sich, dass die Ungleichheit in Österreich deutlich höher ist als bisher gedacht. „Um bessere Aussagen treffen zu können, um auch Ungleichheit verlässlicher messen zu können, braucht es bessere Daten, insbesondere bei den Kapitaleinkommen,“ betonte Stefan Jestl. Emmanuel List ergänzte: „Für wirtschaftspolitische Entscheidungen, und auch aus demokratiepolitischer Sicht, wäre es sehr wichtig, gute Daten zu haben.“
Katharina Mader: “Ohne unbezahlte Sorgearbeit funktioniert Kapitalismus nicht“
Gemeinsam mit Judith Derndorfer, Franziska Disslbacher, Vanessa Lechinger und Eva Six (WU Wien) erhielt Katharina Mader (AK Wien) den Kurt-Rothschild-Preis für ihr Forschungsprojekt „Home, sweet home? The impact of working from home on the division of unpaid work during the COVID-19 lockdown”. Wie Jakob Kapeller in der Laudatio unterstrich, leisteten die Ökonominnen mit ihrer Untersuchung einen wertvollen Beitrag zum Verständnis darüber, wie innerhäuslicher Arbeitsteilung von Geschlechterstereotypen, Lohndiskriminierung und Erwerbsarbeitszeitgestaltung beeinflusst wird.
Die Forscherinnen betonten im Gespräch, dass die zentrale Erkenntnis sie nicht überrascht hatte: Nämlich dass die ungleiche Verteilung unbezahlter Sorgearbeit zulasten von Frauen, insbesondere Müttern, auch während des Lockdowns genauso ungleich blieb. Sie hoben den besonderen Charakter unbezahlter Sorgearbeit hervor: „Diese Arbeit ist nicht nur unsichtbar, sondern sie hört nie auf. Sie hat nie ein Endprodukt.“ Und die Bedeutung dieser Arbeit ist nicht weniger besonders: „Sie ist das ursächlichste Ausbeutungsverhältnis des Kapitalismus. Ohne dass Frauen diese Arbeit machen, funktioniert Kapitalismus nicht.“ Um Veränderung zu ermöglichen, muss die Wissenschaft diese Art von Arbeit öfter benennen und damit sichtbar machen.
Philip Rathgeb, Arianna Tassinari: “Gelegenheitsfenster für progressive Politik“
Für ihre Untersuchungen zu “Labour Politics between the Euro Crisis and Covid-19 Pandemic“ wurden auch Philip Rathgeb (Uni Edinborough) und Arianna Tassinari (MPI Köln) mit dem Kurt-Rothschild-Preis ausgezeichnet. Im Zentrum ihrer Arbeit steht das „problematische Verhältnis zwischen Europäisierung und Globalisierung“, das sie anhand der Rolle der Gewerkschaften untersuchen, wie es Jakob Kapeller in seiner Laudatio benannte. Die Forscher:innen zeigen nämlich, wie die Architektur der Euro-Zone zu einer Schwächung der Gewerkschaften führte?
Im Gespräch erklärte Philip Rathgeb, dass das vor allem an der neoliberalen Schlagseite der Bearbeitung der Eurokrise lag – also Austeritätspolitik, Liberalisierungspolitik, und somit auch enge Grenzen für die Lohnentwicklung. „Gleichzeitig wird jetzt auf Europäischer Ebene mit der Mindestlohnrichtlinie der Europäischen Kommission eine andere Richtung vorgezeigt.“ Darin könne man durchaus eine veränderte Logik sehen: „Hier geht es plötzlich darum, nach oben zu nivellieren.“ Mit Blick auf den Arbeitskräftemangel, der sich aktuell in manchen Branchen auftut, fügte Arianna Tassinari hinzu, dass Regierungen mit progressiver Politik darauf reagieren könnten, „vor allem durch gesetzliche Regelungen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.“