Kurt-Rothschild-Preis 2022: Interessen sichtbar machen
Nach zwei Jahren pandemiebedingter Reduktion konnte die diesjährige Verleihung des Kurt-Rothschild-Preises wieder im großen und feierlichen Rahmen stattfinden. Das schöne Dachfoyer der Hofburg bot den Preisträger:innen eine angemessene Bühne; diese wiederum boten dem zahlreich erschienenen Publikum erhellende Einblicke in ihre Forschungsarbeiten.
Seit 2016 verleihen das Karl-Renner-Institut und der SPÖ-Parlamentsklub den Kurt-Rothschild-Preis für Wirtschaftspublizistik. Der Preis stärkt Forschung und Wissenschaftskommunikation, die relevante Ergebnisse erzielt indem sie ökonomische Fragestellungen in einen breiten Kontext stellt, statt neoklassische Glaubenssätze zu reproduzieren. Die Preisträger:innen gehen dabei weit über ihre rein akademischen Aufgaben hinaus, sie bringen sich auch in die wirtschaftspolitische Debatte ein.
Wie Doris Bures in ihrer Eröffnungsrede der Preisverleihung betonte, ist es vor allem die gesellschaftspolitische Relevanz der Wirtschaftswissenschaften, die für die Arbeiten der Preisträger:innen charakteristisch ist. Diesen gesellschaftspolitisch relevanten wirtschaftswissenschaftlichen Zugang soll der Preis fördern und sichtbarer machen, denn: „Heute ist es notwendiger denn je, den ökonomischen Diskurs jenseits des Mainstreams zu suchen und zu finden.“
Auch Jakob Kapeller, Juryvorsitzender und Wirtschaftsprofessor, verwies auf die Notwendigkeit von grundlegendem Nachdenken: „Gerade wenn es um diese großen Fragen geht: Was ist das gute Leben, was ist die gute Gesellschaft? Da wären wir gut bedient, wenn Ökonomie und Politik zurückgehen würden und noch einmal schauen würden: Was kann man von Rothschild mitnehmen über diese breiten Fragen?“ Und er gab Einblick in die Arbeit der Jury, die sich bei der Auswahl der Preisträger:innen aus den vielen Einreichungen an folgenden Kriterien orientiert: wissenschaftliche Qualität der Arbeiten, thematische Ausrichtung, sowie öffentliche Sichtbarkeit.
Michael Landesmann: Interessen sichtbar machen
In seiner Preisrede gab der Hauptpreisträger Michael Landesmann Einblick, wie aus der Sicht der politischen Ökonomie die Herausforderungen unserer Zeit eingeordnet und verstanden werden können. Wirtschaftspolitische Fragen sind nämlich keine rein sachlichen Fragen, sondern – wie bereits Kurt Rothschild betonte – „Fragen der Macht, der Interessen und der Ziele verschiedener gesellschaftlicher Gruppen“. Mithilfe seines analytischen Ansatzes macht Michael Landesmann diese Machtkonstellationen, Interessen und Ziele sichtbar. In seinem Vortrag konkretisierte er diesen Ansatz anhand von drei aktuellen Entwicklungen: dem Russland-Ukraine-Krieg, der Energie- und Inflationskrise, sowie globaler Multipolarität. In einer Zusammenschau dieser umfassenden und dichten Analyse präsentierte er zentrifugale und zentripetale Kräfte im europäischen Integrationsprozess und lieferte ein Plädoyer für flexible und experimentelle Wirtschaftspolitik in bewegten Zeiten.
Pamela Rendi-Wagner: Gestaltende Politik braucht globalen Blick
Pamela Rendi-Wagner, Vorsitzende der SPÖ und des SPÖ-Klubs, betonte in ihrer Laudatio auf Michael Landesmann, wie wichtig ein globaler Blick auf das Geschehen ist: Diesen Blick brauche es, um Zusammenhänge zu verstehen, und um wirksame und vorausschauende politische Antworten zu entwickeln, mit denen wir unsere Gesellschaft im Sinne aller, gerecht und florierend gestalten können.
Neben dem Hauptpreis wurden auch drei weitere Preise an Wissenschafter:innen vergeben, die nicht nur exzellente Forschung betreiben, sondern sich auch in die politische Debatte einbringen.
Herausgeber:innenkollektiv Klimasoziale Politik: Eine gerechte und emissionsfreie Gesellschaft gestalten
Ein zentrales Credo Kurt Rothschilds lautet, dass es stets besser sei, eine wichtige Frage zu stellen, als eine unwichtige Frage zu beantworten. Dieses Stellen wichtiger Fragen erfordert nicht nur analytische Klarheit, sondern auch Mut – zwei Aspekte, die in der Debatte um die Klimakrise und globale Entwicklung allzu oft fehlen, wie ein Rückblick auf die jüngste Weltklimakonferenz ebenso illustriert wie ein Ausblick auf die anstehende Fußball-WM. Kaum eine Einreichung in der Geschichte des Kurt-Rothschild-Preises entspricht diesem Credo so wie das Projekt „Klimasoziale Politik“, für das Christina Plank, Ernest Aigner, Laura Allinger, Clara Moder, Mario Taschwer, Hendrik Theine, Simon Theurl und Katerina Vrtikapa ausgezeichnet wurden. Es handelt sich dabei um ein Projekt voller innovativer Ideen, das ernstzunehmende und inspirierende Vorschläge zu einer solidarischen Bewältigung der Klimakrise liefert.
Karin Fischer, Christian Reiner & Cornelia Staritz: Globale Warenketten und ungleiche Entwicklung
Mit ihrer Arbeit zum Themenkreis „Globale Warenketten und ungleiche Entwicklung“ greifen Karin Fischer, Christian Reiner und Cornelia Staritz ein zentrales Thema der heutigen Gegenwartsgesellschaft auf. Mit ihrer Bearbeitung von Freihandel, Globalisierung und internationaler ökonomischer Integration liefern sie einen wertvollen Beitrag zur Analyse von Globalisierungsprozessen und loten so die Rotschild‘sche These von der Ambivalenz ökonomischer Offenheit differenziert aus. Ambivalent sind die Folgen der Etablierung globaler Wertschöpfungsketten nämlich für Verteilungsaspekte. Hier zeigt die differenzierte Analyse der Preisträger:innen auf, dass gegenwärtige Globalisierungstendenzen weniger vom „komparativen Vorteil“ als von „ungleicher Entwicklung“ gekennzeichnet sind. Dass die Risken ökonomischer Integration anscheinend die damit einhergehenden Chancen überwiegen, hat wiederum mit Machtfragen zu tun.
Simon Schaupp: Zur politischen Ökonomie der Digitalisierung
Die kapitalistische Praxis zeigt, wie Technologie zur Ware gemacht, und damit ein utopisches Potential in eine dystopische Praxis verkehrt werden kann. Es ist das zentrale Verdienst von Simon Schaupp, diese Umkehrung für das Beispiel des Arbeitsmarktes nachgezeichnet zu haben. Wie so oft gilt, dass neue technische Möglichkeiten alleine noch keinen sozialen Fortschritt machen, sondern die eigentliche Gretchenfrage stets lautet, nach welchen moralischen und politischen Grundsätzen wir diese neuen technischen Möglichkeiten einsetzen wollen. Und wenn wir uns bei der vom Preisträger vorgenommenen Betrachtung der Folgen einer technischen Entwicklung wie der Dürrenmatt‘sche Physiker fühlen und uns klammheimlich wünschen, eine gewisse technologische Entdeckung wäre nie gemacht worden, da wissen wir, dass es an entsprechender Regulierung ebenso fehlt wie an angemessener Moral.