Einleitung
Der Rückblick auf das Jahr 2023 ist aus feministischer Sicht wenig erfreulich. Die aktuelle Zeitverwendungsstudie zeigt, dass es eine frauenpolitische Offensive in Österreich braucht, die ihresgleichen sucht – der angestrebte europäische Zeitverwendungsvergleich im Jahr 2030 wird sonst zur Farce. Die notwendigen Verbesserungen im Gewaltschutz machen deutlich, dass viel strukturelle und wiederkehrende Arbeit notwendig ist, um eine sichere Gesellschaft für alle gestalten zu können. Das Fristenregelungsjubiläum zeigt, welch großen Spielraum feministisch motivierte Aktivist:innen und Politiker:innen haben, die Welt ein Stück weit besser zu machen. Es gibt noch viel zu tun – mögliche Wege und Werkzeuge zeigen wir im aktuellen FemLetter auf.
Wir wünschen eine erholsame Winterpause und freuen uns auf ein Wiedersehen – vielleicht beim 10. Barbara-Prammer-Symposium am 19. Jänner 2024.
Barbara Hofmann
„Helfen statt strafen – 50 Jahre Fristenregelung“ (Dienstag, 3. Oktober 2023)
In Österreich ist der Schwangerschaftsabbruch eine privat zu zahlende Gesundheitsleistung. Der Zugang hängt (auch) vom Wohnort ab, außerhalb einzuhaltender Fristen ist er strafbar. Laeticia Thissen (FEPS, Brüssel) verwies im Rahmen einer Diskussion und Buchpräsentation auf Länder wie Dänemark, Finnland und die Niederlande, die einen einfachen Zugang zu Abtreibung auf Wunsch unter nur wenigen einschränkenden Bedingungen ermöglichen. Mehr zur Veranstaltung sowie die deutschsprachige Kurzfassung der englischsprachigen Publikation „Abortion in the European Union. Actors, issues and discourse“ findet ihr hier.
„Das Paradies ist weiblich?“ (Mittwoch, 1. März 2023)
Ist eine Welt, die von Frauen bestimmt und gestaltet wird, besser? Das war eine der zugespitzten Ausgangsfragen unserer Diskussionsveranstaltung mit Korinna Schumann, Mareike Fallwickl und Tanja Raich im Vorfeld des Internationalen Frauentages 2023. Ergebnisse der Diskussion waren, dass sich Rahmenbedingungen wie Kinderbildung/-betreuung rasch ändern müssen, dass Quoten zielführender sind als „Kann-Bestimmungen“ und dass auch Männer jubeln könnten, wenn gesetzliche Regelungen wie der Papamonat erkämpft werden.
„Wie rechte Bewegungen die „Krise der Männlichkeit“ strategisch nutzen?“ (Dienstag, 28. November 2023)
Um den Aufstieg und die Erfolge autoritär-rechter Parteien und Bewegungen zu erklären, hilft ein Blick darauf, wie diese eine Bedrohung von Männlichkeit heraufbeschwören und dabei Gefühle von Angst, Scham und Hoffnung mobilisieren. Birgit Sauer und Otto Penz zeigen in ihrem Buch eindrucksvoll auf, wie neoliberale Politiken die Grundlage dafür geschaffen haben, dass dieses Bedrohungsszenario funktioniert, und wie es rechten Parteien gelingt, die Hoffnung auf einfache Lösungen für ihr politisches Projekt eines autoritären Staates zu kanalisieren.
Zeitverwendungsstudie
Die kürzlich präsentierte Zeitverwendungsstudie hat wenig Neues ergeben. Nach wie vor leisten Frauen fast doppelt so viel Care-Arbeit, also unbezahlte Arbeit, wie Männer. Care-Arbeit umfasst Kochen, Putzen, Einkaufen, Auf- und Umräumen, soziale Anlässe organisieren, Kindern die Nase putzen oder sie trösten. Von einer Wahlfreiheit der Frauen zu sprechen, wenn es um unbezahlte Arbeit geht, ist angesichts dieser schleppenden Entwicklung eine Themenverfehlung. Zeitgemäß wären Rechtsansprüche auf einen kostenlosen, ganztägigen Kinderbildungsplatz ab dem ersten Lebensjahr und Öffnungszeiten der Kinderbetreuungs- und Kinderbildungseinrichtungen, die eine Vollzeiterwerbstätigkeit ermöglichen.
Alleinerziehende allein gelassen: Wenn der Familienbonus zum Papabonus wird
Der von ÖVP und FPÖ im Jahr 2018 mit Stolz als soziale Maßnahme eingeführte Familienbonus richtet sich nach dem Gehalt: je höher das Gehalt, desto höher der Bonus. Wer bekommt in der Regel diesen Bonus? Der besserverdienende Elternteil. Und so verwundert es nicht, dass über 81 Prozent der ausbezahlten Boni bei Vätern landen. Die aktuelle Zeitverwendungsstudie zeigt, dass sich diese Entwicklung nicht abschwächen wird, sondern dass die Politik gefordert ist, echte Gleichstellungsmaßnahmen zu ergreifen – nur dann kann sich etwas ändern.
ENoP Best Practices Compilation: Gender Equality and Women’s Political Participation
Diese Broschüre des überparteilichen europäischen Netzwerkes politischer Akademien und Stiftungen versammelt Best-Practice-Beispiele, wie die Gleichstellung der Geschlechter und die politische Beteiligung von Frauen verbessert werden können. Das Olof-Palme-Zentrum, das schwedische Pendant des Karl-Renner-Instituts, stellt darin eine Gender-Analyse-Toolbox vor, mit der sie ihre Projekte überprüfen. Eine dieser häufig angewandten Analysemethoden ist die 4-R-Methode (Repräsentation, Ressourcenverteilung, Realitätscheck, Realisierung). Diese und viele andere konkrete Beispiele bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte für jene politischen Parteien, die offene, vielfältige Strukturen schaffen wollen.
„Abtreibung in der Europäischen Union. Beteiligte, Problemfelder und Diskurs“, Bérengère Marques-Pereira
Als medizinischer Akt mit vielfältigen sozialen, psychologischen und emotionalen Auswirkungen ist der Schwangerschaftsabbruch eine gesellschaftspolitische Frage für sich. Der Zugang zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch ist Gegenstand von Spannungen, Widerständen und Konflikten zwischen verschiedenen Akteur:innen mit teilweise extrem gegensätzlichen Positionen. Während Europa der Kontinent ist, auf dem der Zugang zu einem sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch den internationalen medizinischen und gesundheitlichen Empfehlungen am nächsten zu kommen scheint, stellen die Behörden in mehreren Ländern diesen Zugang in Frage. Dieses Buch vergleicht die rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in den verschiedenen EU-Ländern und die Wirksamkeit des Rechts auf Zugang zum Schwangerschaftsabbruch. Außerdem zeichnet es die Entwicklung der politischen Debatte am konkreten Beispiel Belgien nach.
„Das Ereignis“, Annie Ernaux
Die autobiografische Erzählung der Autorin zeigt, wie sehr der Schwangerschaftsabbruch eine Frage der sozialen Schicht ist. Mit 23 Jahren entdeckt Annie Ernaux, dass sie schwanger ist und entscheidet sich für eine Abtreibung. Im Frankreich der 1960er Jahre ist sie auf sich allein gestellt, denn Abtreibung ist illegal. Ihr Weg endet in der Notaufnahme.
„Caliban und die Hexe“, Silvia Federici
Die Philosophin Silvia Federici liefert mit diesem Werk eine umfassende Analyse aus feministischer Perspektive über die Ursprünge des Kapitalismus, soziale Bewegungen und weiblichen Widerstand. Auch wenn, wie sie selbst schreibt, die Forschung aus feministischer Perspektive noch nicht abgeschlossen ist, so zeigt sie in den fortlaufenden Auflagen des Buches Alternativen und Möglichkeiten auf, aus denen wir lernen können.
Podcast-Tipp: „Man tötet nicht aus Liebe“, Moment-Podcast
In fünf Folgen bearbeiten Journalist:innen Hintergründe zum Thema gegen Gewalt an Frauen und was es braucht, damit Österreich wieder zu einem Vorreiterland im Gewaltschutz wird. In jeder Folge wird ein Aspekt, z. B. Täterarbeit und Anti-Gewalt-Trainings, vertieft.
Web-Tipp: House of Girlssplaining
Der Frohmann Verlag hat eine Postkartenserie herausgebracht, die zum Schmunzeln anregt. Die Serie ist den „Präraffaelitischen Girls“ gewidmet, die feinsinnige Gedanken auf den Punkt bringen. Passend zur Jahreszeit ein Beispiel: „Schönes Jahresende und guten Rutsch aus dem Patriarchat!“
Web-Tipp: #AusPrinzip
Rund um das 50-jährige Jubiläum der Fristenregelung haben sich viele Feminist:innen über Parteigrenzen hinweg zusammengeschlossen und fordern straffreie und kostenlose Möglichkeiten, einen Schwangerschaftsabbruch in Wohnortnähe durchführen zu lassen. Was zur Diskussion steht und wie die Versorgungssituation in Österreich aussieht, hat das Moment Magazin in einer frei zugänglichen Dokumentation eindrucksvoll zusammengestellt.
Tiktok-Tipp: lizplank
Politische Einordnung auf Knopfdruck: Die kanadische Journalistin Elizabeth Plank erklärt in dem fünfminütigen Video sehr exemplarisch, wie Geschlechterdynamiken funktionieren (Beispiel Taylor Swift besucht Travis Kelce beim NFL-Spiel) und warum sie sich von Männern mehr Empathie erwartet.