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Wissenschaft und Politik im Dialog: Wir reden weiter!

Rückblick auf die Buchpräsentation zum Lesen und Hören

Räume schaffen für die Begegnung zwischen Wissenschaft und Politik: Das sehen wir als eine unserer wesentlichen Aufgabe als Karl-Renner-Institut. Damit meinen wir nicht nur eine Übersetzungsleistung, mit dem Ziel, Politik durch verständliche wissenschaftliche Expertise besser zu machen – und auch umgekehrt: Wissenschaft durch Einblicke in politische Abwägungen zu bereichern. Sondern wir wollen diese Begegnungen so gestalten, dass sich dabei genau durch die Verschiedenheit zwischen dem wissenschaftlichen und dem politischen Blick auf die Welt neue Ideen, sowie Momente der Horizonterweiterung ergeben.

Das ist die Motivation hinter unserer Wissenschaft & Politik Gesprächsreihe: Bei jedem Gespräch bringen wir ein:e Wissenschafter:in mit einem oder einer Politiker:in ins Gespräch, die beide in ähnlichen thematischen Feldern tätig sind. 16 dieser Gespräche, durchgeführt zwischen Herbst 2019 und Frühling 2022, sind jetzt unserem Buch „Wissenschaft und Politik im Dialog“ nachzulesen. Die Gespräche bieten einen sehr komprimierten Einblick in wissenschaftliche und politische Perspektiven auf eine breite Palette gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Fragestellungen. Das Format des moderierten Dialogs ermöglicht einen lebhaften und gut verständlichen Lesefluss.

Bei der Buchpräsentation am 9. November 2022 führten wir drei Gespräche aus dem Buch live weiter. Auch das Publikum hatte die Gelegenheit, nachzufragen und mitzudiskutieren.

Strafrecht als Spielball der Politik

Das ursprüngliche Gespräch zwischen der profilierten Strafverteidigerin Alexia Stuefer und SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim hatte ein Jahr zuvor stattgefunden: im Oktober 2021, kurz nach den durch die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft beauftragten Hausdurchsuchungen in Bundeskanzleramt und ÖVP-Zentrale, und paar Tage nach dem Rücktritt des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz. Bald darauf war der ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss eingesetzt worden.

Das Gespräch startete mit einer Debatte über die mediale Berichterstattung zu diesem U-Ausschuss und zu Korruptionsermittlungen im Allgemeinen. Ausgangspunkt war ein Zitat von Alexia Stuefer aus dem ursprünglichen Gespräch:

Es ist wichtig, sich über die Eigenart der Korruptionsdelikte im Klaren zu sein. Warum sind diese Verbrechen so schwer aufzudecken und zu bekämpfen? Das liegt unter anderem daran, dass das Opfer – meistens ist das die Allgemeinheit – gar nichts von seinem Opferstatus und vom immensen Schaden, der durch Korruption angerichtet wird, erfährt.

Alexia Stuefer

Wie lässt sich aber eine gute Balance finden zwischen dem öffentlichen Interesse und Recht auf Information einerseits, und andererseits dem Problem einer Vorverurteilung durch Medien und Öffentlichkeit, noch bevor Verfahren abgeschlossen und Anschuldigungen rechtlich geklärt sind? Selma Yildirim betonte wie schwierig Korruption zu beweisen ist, daher sei es umso wichtiger dass diese Themen entsprechende Öffentlichkeit bekämen. Forderungen nach einem Verbot von Berichterstattung zu laufenden Verfahren stellte sie sich explizit entgegen.

Alexia Stuefer stimmte zu, dass die Medienberichterstattung nicht eingeschränkt werden dürfe. Die Berichterstattung der Boulevardpresse schade der liberalen Demokratie allerdings, daher brauche es eine „Watchcat“, die dem „Watchdog“ Medien auf die Finger schaut. Entsprechende Regelungen existieren ja bereits, so ist etwa Medienberichterstattung strafbar, die sich auf laufende Verfahren auswirkt. Diese Regelungen müssten allerdings auch durchgesetzt werden, um Wirksamkeit zu erlangen.

Die Gesprächspartnerinnen tauschten sich auch über die Entwicklung der Korruptionsbekämpfung in Österreich aus. Dabei monierte Selma Yildirim den langsamen und zähen Fortschritt, der nur gegen massiven Widerstand und auf internationalen Druck hin passiere, während Alexia Stuefer wiederum auf die großen Erfolge in der Korruptionsbekämpfung verwies:

Wo bleibt effektive Klimapolitik?

Der Politologe Felix Butzlaff diskutierte mit Bürgermeister Rainer Handlfinger, wie wirksame Klimapolitik geschehen kann. Es waren zwar ursprünglich zwei unterschiedliche Gespräche gewesen – Felix Butzlaff hatte sich mit SPÖ-Klimasprecherin Julia Herr unterhalten, Rainer Handlfinger mit BOKU-Professor Christoph Görg. Die vielen inhaltlichen Überschneidungen ermöglichten aber eine so zusammengeführt Weiterführung des Dialogs: Warum setzt die Politik notwendige Schritte zur Entschleunigung der Klimakrise nicht um? Und wieviel kann durch klimapolitische Maßnahmen erreichen, die gar nicht als solche auffallen?

Die Diskussion begann mit der Frage, wann die Politik Vorschläge für klimapolitische Maßnahmen aufgreift und umsetzt oder nicht. Für Rainer Handlfinger ist das entscheidende Kriterium, ob diese Maßnahmen politisch umsetzbar sind. Vieles könne auch bewegt werden durch „Nudging“, also durch kleine Anreize und Arrangements, die das Verhalten der Bevölkerung beeinflussen, ohne als gezielte Maßnahmen oder Zwang zu erscheinen. Solche Maßnahmen seien in manchen Bereichen einfach umsetzbar und provozieren keine Ressentiments gegen Klimapolitik.

Felix Butzlaff kritisierte ein derartiges Politikverständnis allerdings. Nudging sei zwar effektiv und führe zu Ergebnissen, aber es verschleiere, wer warum welche Entscheidungen trifft. Und es untergrabe den pädagogischen und gestaltenden Anspruch an Politik, der ein wichtiges Wesensmerkmal sozialdemokratischer Parteien sei. Diese bräuchten wieder ein Politikverständnis, das darauf abzielt, Menschen von progressiven Ideen zu überzeugen und gemeinsam Zukunft zu gestalten, statt mit bestehenden Meinungen umzugehen. Das hatte er bereits im ursprünglichen Gespräch betont:

Man glaubt gerade in sozialdemokratischen Parteien, man wird dann attraktiv, wenn man sagt: ‚Kommt zu uns, speist eure Anliegen ein, und wir sind dann eure Fürsprecher:innen.‘ Und damit – mit der Vernachlässigung interner Kollektive und des pädagogischen Anspruchs – verlieren diese Parteien auch ihre Rolle in der gesellschaftlichen Utopiefindung.

Felix Butzlaff

Dem wiederum entgegnete Rainer Handlfinger, dass Nudging auch von großen profitorientierten Akteur:innen sehr intensiv betrieben würde, etwa von der Automobilindustrie. Als klimaschutzorientierter Politiker stünde man mit diesen im Wettbewerb um Ideen. Einig wurden sich die beiden Diskutanten, als es darum ging, wie Gespräche über eine nachhaltige Gestaltung von Flächen und öffentlichem Raum aufgesetzt und ausgestaltet werden können:

Diversität, Verteilung und Klimapolitik zusammen denken

Die Soziologin Laura Dobusch und SPÖ-Gleichbehandlungssprecher Mario Lindner zeigten bei ihrem Gespräch im Frühling 2022, dass eine Diskussion über den vermeintlichen Gegensatz von Identitäts- versus Klassenpolitik weit interessanter sein kann als wenn sie von Polemik und Kräftemessen dominiert ist. Bei dieser Diskussion geht es darum, dass die Interessen von lohnabhängigen und ökonomisch schlechter gestellten Menschen einerseits, und die Interessen spezifischer diskriminierter Bevölkerungsgruppen andererseits, in Widerspruch gesehen und in Konkurrenz zueinander gesetzt werden.

Mario Lindner hatte bereits im ursprünglichen Gespräch sein Verständnis von radikaler Solidarität betont (das ist auch der Titel des Buches, das er vor Kurzem gemeinsam mit Evelyn Regner herausgegeben hat):

Gleichstellungspolitik und Antidiskriminierung stehen nie im Widerspruch zu Themen wie Sozialpolitik und Verteilungsgerechtigkeit. Sondern sie gehören immer zusammen. (…) Was uns hier weiterbringen wird, ist, wenn wir das Verbindende im Blick behalten.

Mario Lindner

Damit stimmte Laura Dobusch überein, ergänzte allerdings mit Blick auf ihre Forschung zu Diversität und Diversitätsmanagement, dass Stellungnahmen, die immer das Gemeinsame betonen, die Sachlage oft stark vereinfachen. Vor allem die Stimmen von mehrfach benachteiligten Gesellschaftsgruppen würden dabei manchmal überhört, etwa von ökonomisch schlechter gestellter Migrant:innen oder transgeschlechtlicher Personen. Diese Gruppen können oder wollen dann nicht Teil eines proklamierten gemeinsamen Kampfes sein, wenn sie und ihre Anliegen nicht ausdrücklich ihren Platz in diesem Gemeinsamen finden können.

Wie wirken sich aktuelle Probleme auf diese Debatten aus, etwa die steigenden Energiepreise und allgemeine Teuerung, oder die sich zuspitzende Klimakrise, die auch zu immer mehr Wetterextremen und damit neuen Migrationsbewegungen führt? Auf diese Frage hin betonte Mario Lindner, dass wir Menschen und Themen nicht gegeneinander ausspielen dürfen, und Laura Dobusch strich hervor, wie wichtig es gerade jetzt sei, Prozesse des Wandels politisch zu steuern: